5. Juni 2025, 14:34 Uhr | Lesezeit: 11 Minuten
Bei dem Wort „Qualzuchten“ denken die meisten an spezielle Hunde- oder Katzenrassen, wie etwa der Mops oder die Nacktkatze. Doch auch bei Pferden gibt es qualgezüchtete Tiere, die durch zuchtbedingte Merkmale erheblich eingeschränkt sind.
Hunde mit platten Nasen, die kaum Luft bekommen, Katzen ohne Fell, die zu Hautkrankheiten neigen und Kaninchen mit riesigen Schlappohren, die zu Entzündungen führen: Die Liste von Qualzüchtungen – vor allem bei Haustieren – lässt sich nahezu unendlich fortsetzen. Doch was manche Menschen offenbar schön finden, ist für Tiere mit Leid und Krankheiten verbunden. Und auch, wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht, aber selbst vor Pferden macht der menschliche Optimierungswahn nicht halt. Dabei stehen nicht nur vermeintliche Schönheitsideale, sondern auch die Leistung der Tiere im Vordergrund. Welche Pferde als Qualzuchten gelten und worauf man achten sollte, erläutert PETBOOK.
Was sind Qualzuchten?
Unter dem Begriff Qualzucht werden Züchtungen zusammengefasst, bei denen vorhersehbar ist, dass sie für das Tier oder dessen Nachkommen mit Schmerzen, Leid, Schäden oder Angst verbunden sind – so lautet die gängige Definition. Ob eine haarlose Katze oder ein Hund, dessen Schnauze zerknautscht ist wie eine zusammengefaltete Ziehharmonika, schön sind, ist daher nicht nur Geschmackssache. Denn diese Tiere sind auch nicht gesund. So samtig sich die Haut einer Nacktkatze auch anfühlen mag, Katzen dieser Rasse leiden oft unter einem eingeschränkten Tast- und Orientierungssinn und fehlender Temperaturregulation. Und das von manchen Menschen als niedlich empfundene Röcheln eines Mopses oder einer französischen Bulldogge ist für das Tier alles andere als ein Ausdruck der Freude: Es versucht verzweifelt, trotz seiner verkrüppelten Nase ausreichend Luft zu bekommen.1
Doch nicht nur Haustiere wurden seit jeher von Menschen in eine bestimmte Richtung gezüchtet. Auch sogenannte Nutztiere werden auf bestimmte Leistungsmerkmale hin gezüchtet. So haben Milchkühe riesige Euter, die zwar enorme Mengen Milch produzieren, mit denen die Tiere jedoch oft kaum laufen können. Entzündungen, Klauenprobleme und andere Erkrankungen sind die Folgen. Puten und Hühnern werden riesige Brustmuskeln angezüchtet, denn deren fettarmes Fleisch gilt bei Verbrauchern als besonders beliebt und gesund.
Das Problem: Die Tiere können sich deswegen kaum noch natürlich bewegen und leiden unter Skelett- und Kreislauferkrankungen. Doch selbst bei Tieren, die weder der Produktion zu Lebensmitteln dienen noch als Accessoire gehalten werden, spielen Qualzuchten eine immer größere Rolle. Auch Pferde sind von Qualzuchten betroffen, und auch hier stehen vor allem vermeintliche Schönheitsideale und Leistungen bei sportlichen Wettkämpfen im Vordergrund. Allerdings: Pferdezucht ist ein Millionengeschäft. Dass dabei die Gesundheit der Pferde womöglich nicht immer berücksichtigt wird, dürfte kaum überraschen. 2, 3
Fragwürdiges Schönheitsideal bei Araber-Pferden
Welch mitunter absurde menschliche Vorstellungen von Schönheit auch Pferde erfüllen müssen, zeigte 2017 ein Araber-Hengst namens „El Rey Magnum“ besonders deutlich. Das Fohlen wirkte wie ein grotesk überzeichnetes Comic-Seepferdchen, das sich an Land verirrt hatte. Die bei Araber-Pferden ohnehin deutlich nach innen gebogene, rassetypische Nasenlinie war bei El Rey Magnum derart stark geschwungen, dass sein Kopf an den eines Seepferdchens erinnerte. Zwar sind sogenannte Hechtköpfe mit großen, relativ hochstehenden Nüstern bei Araber-Pferden erwünscht, bei El Rey Magnum aber hatten die Züchter nach Ansicht zahlreicher Tierärzte übertrieben.
Zwar war der Hengst ausschließlich zu Schauzwecken und nicht als Reittier gezüchtet worden. Dennoch wurden Befürchtungen laut, dass er wegen seines deformierten Kopfes nur schwer Luft bekommen könne. Pferde atmen ausschließlich über ihre Nüstern und nicht über ihr Maul. Dies dürfte bei einem Kopf wie dem von El Rey Magnum nur schwer möglich sein. Gegenüber einer britischen Fachzeitschrift wetterte ein Tierarzt und Pferdeexperte, dass mit El Rey Magnum bei der Zucht „ein lächerliches Level erreicht“ sei. Er vermutete gar, dass die Bewegung des Tiers eingeschränkt sei. Dennoch war El Rey Magnum, der heute angeblich in Italien lebt, der Stolz seiner US-amerikanischen Züchter und für viele Araber-Fans „der schönte Hengst der Welt“.
Für sein besonderes Aussehen heimste das Tier sogar internationale Auszeichnungen ein. Zwar waren der stärker gewölbte Nasenrücken und die markanten Nüstern der Araber-Pferde ursprünglich ein evolutionärer Vorteil. Er ermöglichte es den Tieren, bei trockenen Bedingungen leichter zu atmen. Dies und der hochstehende Schweif verliehen ihnen ihr typisches, elegantes Aussehen. Durch Zucht wurden diese Merkmale über Generationen jedoch hinweg immer weiter betont. El Rey Magnum schließlich galt als Krönung des fragwürdigen Trends nach Araber-Pferden mit stark überzeichnetem Aussehen. Als preisgekrönter Zuchthengst wird er sein Aussehen jedoch weitergegeben haben – und damit auch mögliche Probleme.4, 5
Aufgehelltes Fell bringt gesundheitliche Probleme
Das Aussehen steht auch bei einem anderen Trend unter Pferdeliebhabern im Vordergrund: Sogenannte aufgehellte Pferden erfreuen sich offenbar immer größerer Beliebtheit. Mutierte Gene sind dafür verantwortlich, dass manche Tiere einen aufgehellten Fellton haben. Die sogenannte Silberfarbe (auch Windfarbe) „ist bei Pferden und Ponys durch deutlich aufgehelltes Langhaar (oft weiße bis silbergraue oder auch grau melierte Mähne oder Schweif) und graues bis schokoladenbraunes Deckhaar (teilweise mit starker Äpfelung) gekennzeichnet“, beschreibt die Deutsche Reiterliche Vereinigung auf ihrer Website.
Äußerlich wirklich sichtbar ist das nur bei schwarzen und braunen Pferden, allerdings können auch Füchse das für diese Veränderung verantwortliche Gen, das Silberallel, in sich tragen – und vererben. Das aber bringt mitunter schwere gesundheitliche Probleme für die Tiere mit sich. „Neben gestörten Farbpigmenten in den Haaren sind diese Züchtungen jedoch auch für weitere Schäden prädisponiert“, teilt etwa die Website Vet.Thieme mit. Die mutierten Gene, die silberfarbenes Fell, aufgehellte Fuchsfarben oder sogenannte Fuchsweißisabelle hervorbringen, verursachen nicht nur helles Haar. Unter anderem greifen sie laut der Website auch über Enzyme in Stoffwechselprozesse anderer Eigenschaften ein. So können die Tiere schwere Anomalien oder Erkrankungen davontragen.
Silberfarbene Pferde sind demnach für Augenkrankheiten anfällig, bei denen es zu aufgeblähten Augäpfeln und Zysten kommen kann. „Eine Genmutation beim Arabischen Vollblut führt zur hellgraubräunlichen Fellfarbe, jedoch auch zu multiplen neurologischen Störungen, die schon kurz nach der Geburt zum Tod führen“, heißt es weiter. Augen und Haut sind bei helleren Pferden wie etwa Fuchsweißisabellen zudem empfindlicher gegenüber UV-Strahlung. Dadurch können sich Ekzeme bilden. Aufgehellte Füchse litten häufiger an einer bestimmten Krebsart, dem Plattenepithelkarzinome, als dunkle Artgenossen.6, 7
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Muskulöse Quarter Horses mit dünner Haut
Auch andere Pferde, die auf den ersten Blick robust und stark wirken, können Qualzüchtungen sein. Quarter Horses etwa, die weltweit am meisten verbreitete Pferderasse. Diese meist freundlichen und als gelehrig geltenden Pferde haben oft zahlreiche gesundheitliche Probleme, die auf jahrelange, strenge Zucht zurückzuführen sind. Je nachdem, für welchen Zweck die Pferde gezüchtet werden, wird auf unterschiedliche, körperliche Merkmale geachtet. So haben manche Quarter Horses einen extrem muskulösen Körperbau, andere dagegen müssen kleiner und wendiger sein. Andere wiederum verfügen über spezielle Fähigkeiten bei der Arbeit mit Rindern.
Renn-Quarters müssen vor allem eins: schnell sein. Doch zahlreiche Quarter Horses leiden genau wegen dieser gewünschten Fähigkeiten und optischen Ansprüche unter Krankheiten oder bezahlen die angezüchteten Merkmale sogar mit ihrem Leben. So können Quarter Horses unter anderem an der lebensbedrohlichen Muskelerkrankung HYPP leiden. Sie führt bei betroffenen Pferden Krämpfen und Muskelschwäche. Die Krankheit ist unheilbar, wie sie verlaufen wird, lässt sich nicht voraussagen. Auch die Hautkrankheit HERDA komme bei Pferden dieser Rasse häufiger vor, wie etwa der Deutsche Tierschutzbund und die Tierschutzorganisation Peta mitteilen.
Pferde, die daran erkrankt sind, haben eine sehr empfindliche Haut. Werden sie geritten, kann das rasch zu Verletzungen vor allem der dünnen Haut unter dem Sattel kommen. Mitunter müssten Pferde sogar eingeschläfert werden. Eng definierte Zuchtziele sorgten jedoch dafür, dass auch Tiere, die Erbkrankheiten in sich tragen, immer wieder zur Zucht herangezogen würden und keine anderen Rassen eingekreuzt würden, kritisieren die Tierschützer. Denn vor allem zahlreiche der wegen ihrer Eigenschaften prämierten Pferde werden zu Zuchttieren und geben dann die Erbkrankheiten, die sie in sich tragen, an ihre Nachkommen weiter.8
Minipferde mit Zahnentzündungen
Auch vermeintlich niedliches Aussehen birgt gesundheitliche Gefahren für Tiere. Ein Beispiel sind Pferde der Rassen American Miniature Horse und Falabella. Miniaturpferde erreichen höchstens ein Stockmaß von knapp 87 Zentimetern. Damit sind sie noch kleiner als ein durchschnittliches Pony, das etwa 148 Zentimeter misst. „Und genau das birgt große Gefahren, denn die Zähne der Minipferde sind annähernd genauso groß wie die ihrer großen Artgenossen“, so die Tierschutzorganisation Peta auf ihrer Website.
Und das könne den Tieren starke Schmerzen verursachen. Denn: Damit die Köpfe der Minipferde zu den Proportionen ihrer Körper passen, züchtete man sie ebenfalls sehr klein. Bei der gleichen Anzahl Zähne, die auch ein Großpferd im Maul hat, kann das bei den winzigen Verwandten jedoch zu Komplikationen führen. Die 24 Zähne haben dort nämlich schlichtweg zu wenig Platz im Kiefer.
Diese Problematik bestehe inzwischen auch bei Großpferden, teilt Peta weiter mit. Denn der Trend gehe dahin, „moderne Pferde“ mit kleineren, schmaleren Köpfen zu züchten. Entzündungen vor allem im Bereich des letzten Backenzahns und Schwellungen im Kiefer, die bis in die Nasengänge reichen können, sind oftmals die Folge. Minipferde können dadurch an Nebenhöhleninfektionen erkranken, die unbehandelt nicht selten zum Tod der Tiere führen.
Zudem hindern ihre oftmals auch zu lang gewachsenen Zähne sie daran, ausreichend Nahrung aufzunehmen und zu verwerten. Dies kann Mangelerscheinungen und einen Verlust an Lebensqualität mit sich bringen, wie Peta berichtet. Zudem können zahlreiche der kleinen Pferde wie etwa Falabellas nicht auf natürlichem Weg zur Welt kommen. Stattdessen muss man sie per Kaiserschnitt auf die Welt holen. Auch frieren die kleinen Pferde leicht und benötigen deswegen eine kälte- und windsichere Unterkunft.9
Qualzucht bei Pferden nicht immer sichtbar
Wichtig zu wissen: Allein am Aussehen lässt sich eine Qualzucht bei Pferden nicht erkennen. Enge Auswahlkriterien, das Züchten nur mit bestimmten Tieren und das fehlende Einkreuzen anderer Pferde haben inzwischen ihre Spuren in nahezu jeder Pferderasse hinterlassen. Wie das Qualzucht-Evidenz-Netzwerk (QUEN) berichtet, treten zwar einige Defekte besonders bei bestimmten Rassen auf und sind dort auch optisch erkennbar, etwa anhand von Fellfärbungen. Andere Mutationen und damit einhergehende Defekte jedoch finden sich bei verschiedenen Pferderassen.
Ein Beispiel ist demnach die Greying-Mutation, „die in direktem Zusammenhang mit der Bildung von Melanomen in höherem Lebensalter gesehen wird“, heißt es bei QUEN. Eine weitere, vererbbare, aber anhand äußerer Merkmale nicht erkennbare Erkrankung ist eine spezielle Bindegewebsschwäche, die grundsätzlich tödlich endet. Sie tritt bei Fohlen auf und betrifft zahlreiche Rassen, etwa Belgisches Warmblut, Deutsches Sportpferd, Haflinger, Hannoveraner und Oldenburger.
Manche Qualzuchten bei Pferden über Gentests nachweisbar
Inzwischen gibt es Gentests, die unter anderem nachweisen können, ob ein Pferd Anlagen für Augenerkrankungen in sich trägt. Auch auf andere, schwerwiegende Gendefekte kann getestet werden. Ebenfalls sind spezielle Tests für genetisch bedingte Erkrankungen verfügbar, die etwa speziell bei aufgehellten Pferden vorkommen.
Mit solchen Tieren, vor allem jenen, die das sogenannte Silberallel in sich tragen, gar nicht mehr zu züchten, ist offenbar dennoch keine Option. „Der Beirat Zucht spricht sich daher nicht für eine Verbannung der Silberfarbe (Windfarbe) aus“, heißt es auf den Seiten der Deutschen Reiterlichen Vereinigung.
Allerdings gibt der Verband dringende Empfehlungen für die Zucht mit betroffenen Pferden und Ponys aus. Demnach solle die Zucht von reinrassigen Pferden, die das Silberallel in sich tragen, vermieden werden. Trägt ein Elterntier das Gen, sollte das andere frei davon sein. Bei Zweifeln solle ein Gentest Klarheit bringen, ob ein Tier die genetische Veranlagung trägt. Bei bestimmten Rassen, bei denen das Silberallel häufig vorkommt, etwa Shetland Pony, Islandpferd und Highland Pony, „werden ab dem Zuchtjahr 2025 alle Hengste der genannten Rassen, die in ein Hengstbuch eingetragen werden oder eingetragen sind, auf die Silber-Mutation mithilfe des Gentests untersucht“.

„Hunde mit Merle-Färbung sind Qualzucht? Das ist doch Schwachsinn!“

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Wie alt können Pferde werden?
Fazit
Auch Pferde können von Qualzucht betroffen sein, die teils schwerwiegende, gesundheitliche Folgen nach sich ziehen können. Manche dieser Qualzuchtmerkmale lassen sich erkennen, etwa anhand aufgehellter Fellfarben, extrem muskulöser Körper oder als niedlich empfundenem Kleinwuchses. Andere gesundheitliche Probleme dagegen vererben sich zunächst unbemerkt und zeigen sich erst später.
Bei einigen Pferdezuchtverbänden ist es zwar Voraussetzung, dass Tiere vor dem ersten Zuchteinsatz getestet werden. Vorschrift ist das aber nicht. Auch gesetzliche Grundlagen dazu fehlen. Das Qualzucht-Evidenz-Netzwerk QUEN etwa moniert: „In manchen Zuchtverbänden sind bestimmte Defektmerkmale sogar eng mit den populärsten Zuchttieren verbunden – eine entsprechende Verbreitung der Erkrankungen bleibt so unvermeidlich. Die Eliminierung von Qualzuchtmerkmalen in der Pferdezucht scheint ohne drastische Verbote daher nicht mehr umsetzbar.“
Die Tierrechtsorganisation Peta rät, Pferde generell nicht bei Züchtern zu kaufen. Stattdessen könne man Tieren in Not ein Zuhause geben. Informationen dazu gibt es bei Tierschutzvereinen und Organisationen, die sich auf die Vermittlung von Pferden spezialisiert haben.