
15. Juli 2025, 17:11 Uhr | Lesezeit: 9 Minuten
Sarah Fink: „Wir haben oft Straßenhunde beobachtet und sind ihnen gefolgt“
PETBOOK: Frau Fink, was hat Sie ursprünglich dazu bewegt, Straßenhunde über so einen langen Zeitraum zu beobachten?
Sarah Fink: „Ich habe mich schon immer viel mit dem natürlichen Verhalten von Hunden beschäftigt und war auch schon als Kind viel in Ländern mit Straßenhunden wie Rumänien oder Bulgarien. Als Corona dann kam und ich monatelang – zumindest in Österreich – nicht mehr arbeiten durfte, haben viele Kunden gefragt, ob wir keine Trainingsanleitungen oder Onlineseminare filmen könnten. Dadurch entstand die Idee, ins Ausland zu fahren und mit unvermittelbaren Tierschutzhunden zu drehen.
So hatten die Tierheimhunde etwas davon, da sie durch das Training vermittelbar wurden, unsere Kunden konnten das Training anhand von schwierigen Fällen sehen, und die Covid-Restriktionen waren in Kroatien, Rumänien, Bulgarien und Co. nicht wirklich präsent. In diesen Ländern gab es natürlich auch viele Straßenhunde.“
Ab wann kamen die GPS-Tracker zum Einsatz?
„Wir haben oft Straßenhunde beobachtet und sind ihnen gefolgt, aber es dauert meistens nicht lange, bis der Hund dann doch durch ein privates Grundstück läuft oder einfach zu schnell ist und wir ihm nicht mehr folgen konnten. Und da hat sich dann immer die Frage gestellt: Wo ist dieser Hund jetzt? Was macht er? Was macht er nachts? Und dann haben wir gesagt: Lass uns doch GPS-Tracker auf Straßenhunde geben.“
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„Die größte Herausforderung für unser Projekt waren die Tierschützer!“
Welche besonderen Herausforderungen gibt es bei der Ausstattung von Straßenhunden mit GPS-Trackern, insbesondere in unterschiedlichen Ländern Europas?
„Insgesamt haben wir 27 freilebende Hunde erfolgreich getrackt. Die größte Herausforderung für unser Projekt waren die Tierschützer! Was ja eigentlich wirklich schön zu sehen war, weil tatsächlich jeder Hund, den wir getrackt haben, Bezugspersonen oder Menschen hatte, die sich kümmern. Für uns war das aber nicht immer angenehm.
Inwiefern?
„Einmal zum Beispiel hat mich in Rumänien eine alte Dame angeschrien, weil ich auf ‚ihren‘ Hund ein Halsband mit Tracker gegeben habe und sie dachte, ich will den Hund mitnehmen. Zu dem Zeitpunkt, als ich das Halsband angelegt habe, war der Hund rund vier Kilometer entfernt von ihrem Haus vor einem Supermarkt und alle Einheimischen haben mir versichert, es sei ein Straßenhund, der niemandem gehört.
Ein anderes Mal wurden wir in Griechenland von Mitarbeitern des staatlichen Tierheims verhört, warum wir einen Hund mit GPS-Halsband ausgestattet haben. Wir hatten davor Kontakt mit einer anderen Tierschutzorganisation in der gleichen Stadt, die meinten, wir könnten ohne Probleme GPS-Tracker auf die Straßenhunde geben.“
Was war die überraschendste Erkenntnis über das Verhalten der Hunde im Vergleich zu den Empfehlungen von Hundeschulen oder Ratgebern?
„Am überraschendsten war, wie unterschiedlich Hunde sind! Wir haben Hunde getrackt, die an manchen Tagen nur 15 Minuten von A nach B gegangen sind. Wir haben aber auch Hunde getrackt, die täglich acht Stunden mit Wanderern unterwegs waren! Nicht weil sie hungrig waren – im Dorf gab es Futterstationen, die rund um die Uhr gefüllt waren.“
Sarah Fink: „In Ländern wie Portugal oder Spanien gibt es sehr selten wirkliche Straßenhunde“
Haben Sie kulturelle oder regionale Unterschiede im Verhalten der Straßenhunde feststellen können – etwa zwischen Hunden in Südeuropa und Osteuropa?
„In Ländern wie Portugal oder Spanien gibt es sehr selten wirkliche Straßenhunde. Es gibt Hunde, die frei laufen dürfen, aber einer Person tatsächlich gehören, und es gibt ausgesetzte Jagdhunde. Ganz anders ist das in der Türkei, in Griechenland, Rumänien oder Bulgarien. Hier gibt es viele Hunde, die seit Generationen auf der Straße leben. Die Hunde haben auch Menschen, die sich um sie kümmern, aber meistens ist das nicht eine Person, die sagt: ‚Das ist mein Hund!‘, sondern viele Personen in einem Ort, die sagen: ‚Ja, ich füttere diesen Hund oft.‘
Unterschiede zwischen den Ländern gibt es vor allem bei den Rassen. Zwar sind es natürlich hauptsächlich Mischlinge, aber in Rumänien sieht man viele Hunde, die optisch stark an den Ciobănesc Românesc de Bucovina erinnern. In der Türkei sieht man wiederum Unmengen an Kangalmixen.“
Wie reagieren die Menschen in den verschiedenen Ländern auf Straßenhunde – und welchen Einfluss hat das auf deren Verhalten?
„Es gibt in jedem Land Menschen, die Hunde lieben, und Menschen, die Hunde nicht mögen. Spannend ist es immer, mit unterschiedlichen Tierschützern vor Ort über ein und denselben Hund zu sprechen. Oft sagt dann eine Person, sie möchte den Hund vermitteln, er soll ein warmes, tolles Zuhause haben und ist auf der Straße so arm! Dann erzählen uns andere Einheimische, die denselben Hund ebenfalls täglich füttern, dass sie finden, der Hund soll auf der Straße bleiben – er hätte schließlich genügend Futter und hätte hier das freiste und schönste Leben. Die Tierfreunde sind sich also oft auch vor Ort nicht einig, was für die Hunde das Beste ist.“
„Schon beim Ankommen sahen wir, dass ein toter Welpe im Gras lag“
Inwiefern verändert sich die Dynamik unter Straßenhunden in Gruppen – gibt es Rollenverteilungen, Hierarchien oder wiederkehrende Verhaltensmuster?
„Die meisten Straßenhunde leben zwar mit mehreren Hunden zum Beispiel im gleichen Dorf, aber formieren sich selten als Gruppe, die ständig beisammen ist. Nicht, weil Hunde das grundsätzlich nicht machen würden, – es gibt durchaus solche Gruppierungen. Allerdings stören solche größeren Gruppen meistens die Einheimischen, und die Hunde werden in Tierheime gebracht.
Öfter sieht man noch ‚Best Buddys‘, wie ich sie nenne. Also zwei Straßenhunde, die komplett aneinander kleben und nichts ohne einander machen. Es gibt aber auch Straßenhunde, die tagsüber nichts miteinander zu tun haben, in unterschiedlichen Teilen einer Stadt unterwegs sind, sich aber immer wieder zum gemeinschaftlichen Autojagen treffen.“
Gab es einen Hund oder eine Begegnung, die Sie emotional besonders berührt oder nachhaltig beeindruckt hat?
„In der Türkei haben wir vor unserem Appartement eine Mutterhündin – wir haben sie Naira genannt – und einen Welpen getrackt. Schon als wir beim Appartement ankamen, haben wir gesehen, dass ein toter Welpe im Gras lag. Am Abend hat die Mutterhündin meistens unter dem Vordach des Nachbarhauses geschlafen und die Welpen haben sich unter dem Dach bei der Grillstelle vor unserem Appartement auf einen Haufen zusammengekuschelt.
„Auch am nächsten Tag hat die Mutter den toten Welpen ständig geputzt und mit sich herumgetragen“
Als ich am Abend noch einmal die Daten vom Aktivitätstracker auslesen wollte, habe ich gesehen, dass die Mutterhündin den toten Welpen zu den anderen Welpen dazugelegt hat. Auch am nächsten Tag hat sie den toten Welpen ständig geputzt und immer wieder herumgetragen. Das war schon sehr traurig zu sehen.“
Ihre Ergebnisse deuten auf eine hohe Individualität bei den Hunden hin. Was sagt das über unsere bisherige Vorstellung von „typischem“ Hundeverhalten aus?
„Ich denke, es gibt wenig ‚typisches Hundeverhalten‘, das bei jedem Hund gleich ist. Es gibt über 340 von der FCI anerkannte Hunderassen. Ein zurückhaltender Galgo verhält sich komplett anders als ein alles und jeden liebender Labrador, und ein Labrador verhält sich ganz anders als ein Kangal, der zum Bewachen gezüchtet wurde.“
Haben sich durch Ihre Recherchen auch Rückschlüsse auf das Verhalten von Haushunden ergeben?
„Straßenhunde sind natürlich keine eigene Tierart, sondern einfach freilebende Haushunde – plus viele Haushunde sind importierte, ehemalige Straßenhunde. Ich denke, unsere Arbeit zeigt hier noch einmal ganz deutlich, wie unterschiedlich Hunde sind und wie wichtig es ist, sich einen Hund zu suchen, der zu einem passt.
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Sarah Fink: „Etliche Welpenbücher gehören neu geschrieben!“
Im Bezug auf Welpen war für mich sehr stark wachrüttelnd, dass etliche Welpenbücher neu geschrieben gehören. Irgendwer hat wohl mal die These aufgestellt, Welpen würden 20–22 Stunden am Tag schlafen. Das steht tatsächlich in fast jedem Hundebuch, und ich muss gestehen – ich habe das früher meinen Kunden ebenfalls erzählt! Tatsächlich sehen wir bei Welpen die höchste Aktivität. Sechs bis zehn Stunden von A nach B gehen, Rennen und Spielen ist bei Welpen komplett normal. Und dann komme ich zu Kunden, die ihren Welpen auf Anraten eines Trainers 21 Std. pro Tag in einer Box in einem abgedunkelten Raum halten, weil er so Ruhe lernen soll.“
Was können nervöse Hunde von Straßenhunden lernen?
„Viele Straßenhunde sind sehr aktiv, aber es gibt selten punktuelle, extrem aufregende Situationen. Sie gehen einfach einen großen Teil des Tages spazieren. Unsere Haushunde liegen oft stundenlang herum, haben kaum Reize, nichts zu beobachten – und dann, punktuell, gehen wir spazieren und die Aufregung ist riesig. Ich denke, da können wir zum einen lernen, dass eine Stunde im Park spazieren gehen für manche Rassen und Charaktere einfach viel zu wenig ist, und zum anderen denke ich, wir können durch Straßenhunde nochmal einen anderen Blick auf Auslastung und Ruhetraining bekommen. Beides ist wichtig – aber es kommt immer auf die Umsetzung an.“

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„Mich hat wirklich die hohe Aktivität von vielen Hunden überrascht!“
Was konnten Sie persönlich von Straßenhunden lernen?
„Mich hat wirklich die hohe Aktivität von vielen Hunden überrascht! Seit wir das Projekt gemacht haben, versuche ich, noch deutlich mehr mit meiner eigenen Hündin, einem Border Collie, zu unternehmen. Damit meine ich aber nicht Dinge wie Agility oder Ballspielen, die sie extrem hochpushen, sondern im Endeffekt dasselbe, was Straßenhunde machen: lange Spaziergänge, gemeinsam irgendwo sitzen und sie beobachten lassen. Manchmal nehme ich auf einem Spaziergang den Laptop mit, um etwa E-Mails zu beantworten, und lasse sie beobachten. Danach ist sie richtig müde – und für mich macht es wenig Unterschied, wo ich meine E-Mails beantworte (lacht)“
Was ist Ihr Fazit nach all dem: Wollen Straßenhunde wirklich gerettet werden?
„Manche brauchen definitiv Hilfe, manche lieben es auch, eine Bezugsperson zu haben – aber definitiv nicht alle. Es gibt hier wie fast überall kein Schwarz und Weiß, sondern ganz viel Grau dazwischen!“