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Gassigehen reicht nicht

Wie viel Beschäftigung Hunde wirklich brauchen

Weißer Hund liegt auf dem Teppich
2,4 Mal am Tag Gassi – für jeweils rund 28 Minuten – so sieht die Realität vieler Hunde aus. Aber reicht das? Foto: Getty Images
Porträtaufnahme von Autorin Manuela Lieflaender mit Hund Elvis
Freie Autorin

9. Juli 2025, 6:34 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten

In Deutschland leben rund 10,6 Millionen Hunde – verteilt auf etwa fünf Millionen Halter. Doch nur ein kleiner Teil von ihnen ist im Hundesport aktiv oder besucht regelmäßig eine Hundeschule. Bedeutet das, dass unsere Vierbeiner unterfordert sind? Oder ist ein Spaziergang am Tag völlig ausreichend?

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Zwischen Aktivitätstrackern, Straßenhunde-Studien und dem Alltagsstress moderner Hütehunde werfen wir einen Blick auf die Frage: Wie viel Beschäftigung brauchen Hunde wirklich – und hängt das von der Rasse ab?

Der Alltag der meisten Hunde: 28 Minuten Gassi

Eine Auswertung des GPS-Trackers von Tractive liefert interessante Einblicke: Die Halter, die ihre Spaziergänge mit dem Tracker aufzeichnen, gehen im Schnitt 2,4 Mal am Tag Gassi – für jeweils rund 28 Minuten. Die längsten Gänge finden meist abends statt. Klingt nach einem ordentlichen Tagesprogramm? Vielleicht. Aber: Die Zahlen sind nicht repräsentativ – und selbst wenn, dann bewegen sich viele Hunde insgesamt deutlich unter dem, was Verhaltensexperten empfehlen.

Laut Tierschutzgesetz müssen Hunde mindestens zweimal täglich für insgesamt mindestens eine Stunde spazieren gehen. Was das heißt, ist Interpretationssache – viele Fachleute gehen aber davon aus, dass mindestens eine bis zwei Stunden Bewegung pro Tag artgerecht wären. Und fügen hinzu: Auch mentale Auslastung, Sozialkontakt und Interaktion gehören zum Hundeleben dazu.

Braucht jeder Hund Beschäftigung – oder nur bestimmte Rassen?

Immer wieder hört man: „Das ist ein Australian Shepherd – der braucht unbedingt Hundesport!“, oder „Ein Jagdhund muss jagen, sonst erzieht man gegen die Genetik!“ Aber ist das wirklich so einfach?

Moderne Studien zeigen, dass der Einfluss der Rasse auf das Verhalten geringer ist als lange angenommen – etwa neun Prozent. Viel entscheidender für das Verhalten eines Hundes sind Faktoren wie Alter, Erziehung, Umwelt und individuelle Persönlichkeit. Das heißt: Nur weil ein Hund zur Rasse der Hüte- oder Jagdhunde gehört, hat er nicht automatisch ein extremes Aktivitätsbedürfnis – es kann, muss aber nicht so sein.1

Trotzdem ist die Rasse nicht völlig irrelevant. Sie gibt Hinweise auf typische Verhaltensneigungen: Ein Border Collie bringt oft mehr Kooperationswille mit, ein Labrador hat häufig eine hohe Futtermotivation, ein Terrier kann zum Jagen neigen. Diese Anlagen müssen im Alltag berücksichtigt werden – sonst kann Frust entstehen.

Ist das Leben von Straßenhunden auf unsere Hunde übertragbar? 

Ein gerne angeführtes Gegenargument lautet: Straßenhunde leben auch ohne Beschäftigung – und denen geht’s doch gut! Beobachtungen aus Indien und Südostasien zeigen tatsächlich: Freilebende Hunde ruhen bis zu 80 Prozent des Tages, sie streunen meist allein und leben eher territorial in Menschennähe. Ihre Ernährung basiert auf Essensresten. Jagdverhalten? Fehlanzeige! Denn die Hunde leben dort, wo die Menschen sind, und diese würden es nicht dulden, wenn sie etwa ein Huhn vor ihren Augen reißen würden. 

Aber heißt das, unsere Hunde sind ebenfalls zufrieden mit Schlafen, Futter und ohne andere Hunde? Ganz so einfach ist es nicht. Denn die Hunde aus Indien beispielsweise sind nicht mit gezüchteten Haushunden vergleichbar. In Indien gibt es fast keine Hundezucht. Die Hunde sind „natürlich“ entstanden und auf Überleben optimiert, nicht auf Bindung oder Zusammenarbeit mit Menschen. Und vor allem: Sie suchen sich ihre Beschäftigung selbst. Sie sind mental gefordert, indem sie Nahrung suchen, sich durchsetzen oder Konflikte vermeiden müssen. 2

Unseren Hunden hingegen wird das gesamte Leben vorgegeben – was oft zu Langeweile führt, wenn keine gezielte Beschäftigung stattfindet. Langeweile und Unterforderung können krank machen und zu Verhaltensauffälligkeiten führen. Frust kann sich explosionsartig entladen, zum Beispiel bei Hundebegegnungen. 

Beschäftigung von Hunden: Nicht die Menge, sondern die Qualität zählt

Die wichtigste Frage ist nicht, ob ein Hund beschäftigt wird – sondern wie und womit. Und: Was bedeutet Beschäftigung überhaupt? Gemeint ist nicht nur Agility oder Obedience. Auch einfache Dinge wie

  • Schnüffelspiele zu Hause oder unterwegs
  • Apportierspiele, angepasst ans Alter und die richtige Trainingsweise, damit der Hund kein Junkie wird
  • Tricktraining oder kleine Denkaufgaben
  • Gemeinsame Erkundung neuer Wege
  • Ruhige Interaktion mit dem Menschen

reichen vielen Hunden aus, um zufrieden zu sein. Nicht die Menge, sondern die Qualität zählt – und die Anpassung ans jeweilige Individuum.

Wenn Beschäftigung zur Überforderung wird

Besonders bei aktiven Rassen wie dem Australian Shepherd zeigt sich ein weiteres Problem: Zu viel sowie „falsche“ Beschäftigung kann überfordern. Studien und Erfahrungsberichte deuten darauf hin, dass Australian Shepards, die intensiv Hundesport betreiben, zu Zwangsverhalten und Nervosität neigen können – etwa durch ständiges Erwartungsverhalten oder repetitive Bewegungsabläufe. Bei Border Collies scheint das etwas seltener der Fall zu sein – möglicherweise wegen ihrer ursprünglichen Selektion auf Arbeitsverhalten unter Kontrolle.

Gerade Hunde mit feinen Sensoren und hoher Reaktivität profitieren oft mehr von klaren Alltagsstrukturen, sinnvollen Ruhezeiten und gezielter Auslastung als von überambitioniertem Sport.

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Fazit: Gassigehen allein reicht nicht aus

Die meisten Hunde in Deutschland sind vermutlich nicht dramatisch unterfordert, aber auch nicht wirklich ausgelastet – jedenfalls nicht im Sinne ihrer artspezifischen Bedürfnisse. Viele bekommen genug Bewegung, aber zu wenig Abwechslung, Kopfarbeit oder soziale Interaktion. Und ja: Spaziergänge sind wichtig. Aber Gassigehen allein reicht nicht aus.

Ob ein Hund Hundesport braucht, ist keine Frage der Rasse, sondern des Individuums. Wer seinen Hund beobachtet, seine Signale kennt und kreativ mit ihm den Alltag gestaltet, macht in der Regel schon vieles richtig – auch ohne Vereinsmitgliedschaft oder Trainingsplan.

Porträtaufnahme von Autorin Manuela Lieflaender mit Hund Elvis
Freie Autorin

Zur Autorin

Inspirierende Geschichten sind die große Leidenschaft von Manu Lieflaender. Zum thematischen Portfolio der zertifizierten Hundepsychologin und Pferdefrau zählen Ratgeber-Texte ebenso wie Reportagen über tierfreundliche Reise-Destinationen und Erfahrungsberichte mit Tiefgang.

Noch nicht genug von Elvis und seinem Frauchen? Besuchen Sie die Hundejournalistin Manuela Lieflaender bei Instagram. 

Quellen

  1. Morrill, K. et al. (2022) „Ancestry-inclusive dog genomics challenges popular breed stereotypes.“ Science 376. DOI:10.1126/science.abk0639 ↩︎
  2. Stefan Kirchhoff „Streuner! Straßenhunde in Europa“, Kynos-Verlag, ISBN 978-3-942335-25-6 ↩︎

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