
9. Juni 2025, 16:34 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Für Laien mag es wie ein harmloser oder gar witziger Moment wirken: Ein Hund schleicht sich mit geducktem Körper und langsamen Bewegungen an einen Artgenossen oder Menschen heran – häufig als Teil eines Spiels gedeutet. Allerdings hat das sogenannte „Anpirschen“ nur selten wirklich etwas mit Spielen zu tun …
Von außen mag es wie ein lustiges Spiel wirken, wenn sich ein Hund mit starrem Blick, geducktem Körper und langsamen Bewegungen an Hunde oder Menschen heranschleicht. Was viele als niedliches Verhalten abtun, ist jedoch ein klares Ausdrucksverhalten mit tiefgreifender Bedeutung und sollte keinesfalls unterschätzt werden. Denn das sogenannte „Anpirschen“ hat eigentlich nichts mit Spiel zu tun. „Anpirschen ist kein zufälliges Herumgeschleiche – das ist Hochkonzentration pur“, erklärt Hundetrainerin Katharina Marioth im Gespräch mit PETBOOK.
Anpirschen sollte nicht als Spielen verstanden werden
„Der Hund verlangsamt seine Bewegung, senkt den Körper ab, fixiert das Ziel mit Blicken und bewegt sich lautlos und taktisch darauf zu. Das ist ein klarer Teil der Beutefangsequenz, also tief verankertes Jagdverhalten.“ Spielerisches Jagen hingegen sei meist wechselseitig, dynamisch, voller Rollenwechsel. „Einer rennt, der andere jagt, dann wird getauscht. Beim Anpirschen hingegen ist es meist ernst: Der Hund bereitet sich vor – ob auf einen Hasen oder auf den nächsten Hund, ist dabei erst mal zweitrangig“, ordnet die Expertin ein.
Daher sollte eine solche Situation unbedingt ernst genommen werden. Denn Anpirschen stammt aus dem Beutefangverhalten, das in der Genetik vieler Hunderassen tief verankert ist – insbesondere bei Hüte-, Jagd- und Arbeitshunden. Konkret handelt es sich dabei um eine Vorstufe des Jagdverhaltens: geducktes Anschleichen, Fixieren, teilweise Erstarren (sogenanntes „freezing“), gefolgt von einem plötzlichen Sprint oder Sprung. Dieses Verhalten dient dem Überraschungsmoment gegenüber Beute und eben nicht dem spielerischen Kontakt.
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Anpirschen lesen viele Hunde als reine Provokation
„Bevor ein Tier zuschlägt, muss es erst mal nah genug ran. Und das klappt eben nicht mit ‚Hallo, hier bin ich!‘“, erklärt Katharina Marioth. „Hunde, vor allem die mit viel Jagd-Drive wie Border Collie, Aussie, Malinois, haben dieses Verhalten besonders ausgeprägt.“ Aber Achtung, mahnt die Expertin. Auch vermeintlich „ruhigere“ Rassen können sich dieses Muster situativ aneignen – zum Beispiel im Konfliktverhalten. Daher sollte „Anpirschen“ keineswegs als Spielerei abgetan, sondern sofort unterbunden werden.
Denn es baue Spannung auf und schüchtere andere Artgenossen ein, weiß die Hundeexpertin. „Stell dir vor, jemand schleicht mit gesenktem Kopf und starrem Blick auf dich zu. Würdest du denken: ‚Oh wie nett, der will sicher kuscheln?‘“ Für die meisten Vierbeiner sei dieses Verhalten eine klare Provokation, aus der sich lesen lasse: „Der meint’s ernst! Und entweder sie dann reagieren mit Rückzug – oder mit Gegenwehr. Und bei Menschen? Da kann’s richtig schiefgehen. Gerade bei Kindern oder Joggern wird das Verhalten schnell als bedrohlich wahrgenommen – zu Recht.“
„Da wird der Freilauf schnell zur Bühne für Mobbing“
Daher könnten solche Situation auch schnell eskalieren, weiß die Expertin im Gespräch mit PETBOOK zu berichten. „Es ist der Klassiker: Hund A pirscht sich an Hund B ran – der merkt das, fühlt sich bedroht, dreht sich um und knallt rein. Zack, Rauferei.“ Und dann sei das Geschrei groß. „Dann wundert sich der Halter von Hund A: ‚Der wollte doch nur spielen!‘“
Besonders problematisch sei es, wenn der Hund das Anpirschen nutze, um andere zu kontrollieren. „Da wird der Freilauf schnell zur Bühne für Mobbing.“ Besonders schlimm dabei: Viele Halter nehmen es als „lustige Eigenart“ ihres Vierbeines wahr. „Das ist es aber nicht. Es ist eine stille Eskalationsspirale.“
Daher kann es durchaus zur Gefahr für Mensch und Tier werden, wenn Halter dieses Verhalten verharmlosen oder gar so belohnen: „Wie süß, er schleicht sich an!“. Denn so kann dieses Verhalten sogar noch verstärkt werden, obwohl es Stress, Kontrollverhalten oder territoriale Unsicherheit ausdrückt. Denn besonders bei größeren oder schnell reagierenden Hunden kann das Anpirschen Angst bei anderen Hunden oder Menschen auslösen und im schlimmsten Fall zu Beißvorfällen oder Konflikten führen.
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Halter sollten unbedingt früh eingreifen
„Vermeiden kannst du all das, indem du lernst, Körpersprache zu lesen, frühzeitig eingreifst und deinem Hund beibringst, dass du das ‚Management‘ übernimmst – nicht er. Denn wer Verantwortung abgibt, muss sich nicht wundern, wenn der Hund entscheidet, wie gespielt oder kommuniziert wird“, erklärt Marioth.
„Schau auf die Haltung!“, so ihre Aufforderung an Hundehalter. „Siehst du Anspannung, Fixieren, gesenkte Vorhand? Dann sofort unterbrechen. Nicht durch Brüllen, sondern durch klare, gelernte Abbruchmarker oder Rückruf.“
Man könne aber auch mit Körpersprache antworten – z. B. den Hund körpersprachlich blockieren, und Raum einnehmen, erklärt Katharina Marioth. „Aber das sollte gelernt sein, sonst verwirrt es den Hund nur.“ Doch damit es gar nicht erst so weit kommt, sollten Halter die Körpersprache ihres Haustiers studiert haben und unterscheiden können, ihr Hund spielerisch oder kontrollierend-aggressiv agiert.

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„Und genau diese Mischung ist das Risiko – weil sie oft zu spät erkannt wird“
„Spielerisch sieht so aus: lockerer Körper, offene Bewegungen, weiche Ohren, Schwanz in neutraler bis freudiger Haltung. Vielleicht gibt es sogar ein Spielgesicht – ja, das gibt es. Quasi ein bisschen ‚dummdödelig‘ grinsend“, ordnet Marioth ein.
Sollte die Körpersprache in einer Situation aber eher ins Kontrollierende hereingehen, könnten Halter das aber auch erkennen, wenn sie genau hinsehen. „Da wird es still. Der Hund spannt sich auf, bewegt sich langsam, oft mit gesenktem Kopf, steifem Körper, Fixierblick. Und genau diese Mischung ist das Risiko – weil sie oft zu spät erkannt wird.“
Doch was tun, wenn der eigene Vierbeiner tatsächlich dazu neigt sich an andere Hunde anzuschleichen? Dann sollte gezielt an der Impulskontrolle des Tieres gearbeitet werden, erklärt die Hundetrainerin. „Beispielsweise durch Markersignal beim Sichtkontakt oder durch kontrolliertes Ansprechtraining.“ Halter sollten ihrem Schützling dann Alternativen anbieten, die das Bedürfnis befriedigen. Möglichkeiten könnten hierbei beispielsweise Schleppenarbeit, strukturierte Jagdspiele oder Nasenarbeit sein. „Und ganz wichtig: Klare Strukturen und enge Orientierung im Freilauf. Wer draußen ‚eigenständig jagt‘, braucht drinnen doppelt viel Führung.