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Lineésches System

Warum Tiere wie der Hitlerkäfer nicht umbenannt werden dürfen

Ein aufgespießter Hitlerkäfer
Anophtalmus hitleri, ein Höhlenkäfer aus Slowenien, wäre sicher lieber unentdeckt geblieben, als nach einem Diktator benannt zu werden Foto: picture-alliance/ dpa | Matthias Schrader
Louisa Stoeffler
Redakteurin

08.11.2023, 17:56 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten

Jedes Tier hat einen festgelegten Namen, der genau seine Art beschreibt. Einmal bestimmt, können diese nicht mehr geändert werden. Das gilt leider auch für kritische Benennungen, wie den Hitlerkäfer und den Mussolinifalter.

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Forscher auf der ganzen Welt entdecken regelmäßig neue Arten von Tieren und Pflanzen. Wobei neu nicht immer heißen muss, dass diese gerade erst entstanden sind, sondern zunächst wissenschaftlich untersucht werden müssen. Dabei werden sie gegen ähnliche Tierarten abgegrenzt und als eigene Art identifiziert. Die Wissenschaftler, die diese Tiere finden und beschreiben, haben auch die Hoheit darüber, wie der lateinische Ordnungsname des Tieres lauten soll. So entstanden zum Beispiel Namen wie Hitlerkäfer (Anophthalmus hitleri) und Mussolinifalter (Hypopta mussolinii), die Wissenschaftlern heute zurecht ein Dorn im Auge sind. Und doch kann man diese Tiere nicht umbenennen und ihnen weniger kontroverse Namen geben. Aber warum ist das so?

Einmal Hitlerkäfer, immer Hitlerkäfer?

Der Grund dafür, weshalb wissenschaftliche Namen von Tieren nicht einfach geändert werden können, ist das Lineésche System, auch Systema Naturae genannt. Carl von Lineé dürfte vielen noch aus dem Schulfach Biologie ein Begriff sein. Der schwedische Naturforscher entwickelte im 18. Jahrhundert ein System, nach dem heute noch alle Lebewesen in Stammbäume eingeordnet werden. So stammt zum Beispiel die Einteilung in Tiere, Pflanzen und Mineralien von ihm. Zudem entwickelte er die Taxonomie, die Elefanten als Säugetiere deklarierte und Haie zu Fischen erklärte.

Darüber hinaus entwarf er auch die biologische und zoologische Nomenklatur – also den Grund, aus dem Tier heute zweiteilige lateinische Namen tragen. Der Erste bezeichnet dabei immer die Art, der Zweite ist von Forschern frei wählbar. So entstand etwa der Name Cherax wagenknechtae für einen Krebs, den Forscher Christian Lukhaup 2022 nach der ehemaligen Linken-Politikern Sahra Wagenknecht benannte (PETBOOK berichtete), oder ein Baumfrosch, der im Februar 2023 nach dem britischen Fantasy-Autor J.R.R. Tolkien benannt wurde (PETBOOK berichtete).

Diese Nomenklatur ist in der Wissenschaft so fest verankert, dass sie von einer internationalen Kommission gepflegt und überwacht wird. In ihrer eigenen Fachzeitschrift „Zoological Journal of the Linnean Society“ legte dieses Komitee 2023 ein starkes Veto gegen die Umbenennung von verschiedenen Spezies ein.

Hitlerkäfer heute wegen Neonazis eine bedrohte Art

In dem Artikel zitierten die Autoren einen Ethik-Kodex, der ihrer Kommission zugrunde liegt: „Kein Autor sollte einen Namen vorschlagen, der nach seinem Wissen oder seiner begründeten Überzeugung aus irgendeinem Grund Anstoß erregen könnte.“ Dies schien dem Benenner des Hitlerkäfers, dem österreichischen Käferexperten Oscar Schiebel, im Jahr 1937 jedoch gänzlich egal gewesen zu sein.

Er benannte den blinden Höhlenkäfer, den er in Slowenien fand, um seine Verehrung für den Diktator zum Ausdruck zu bringen. Während Plätze, Straßen und auf den Namen Adolf getaufte Kinder aber den blutbefleckten Namen ablegen durften, muss ihn der Höhlenkäfer weiter tragen – und wird damit zum beliebten Sammlerstück für Neonazis. Anophthalmus hitleri wird geschmuggelt, für viel Geld illegal gehandelt und an den Rand des Aussterbens gebracht.

Die Bedrohung des Käfers sollte doch ein Argument sein, damit er umbenannt wird und seine unfreiwillige Berühmtheit verliert, oder? Laut der Lineéschen Kommission jedenfalls nicht. Es gäbe zwar die Pflicht zu ethischer Benennung. Die Grundsätze einzuhalten sei jedoch eine Angelegenheit der einzelnen Zoologen. Die Kommission sei nicht befugt, angebliche Verstöße gegen diese Grundsätze zu untersuchen oder zu beurteilen.

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20 Prozent der Tiere sind nach Menschen benannt

Die Kommission gibt weiter an, dass circa 20 Prozent der benannten Spezies nach Menschen benannt wurden. Weitere zehn Prozent nach Ortsnamen, die Anstoß erregen könnten. Beide Benennungen könnten in der Zukunft oder bereits jetzt aufgrund von ethischen Gründen infrage gestellt werden. Dies beträfe jedoch Hunderttausende Spezies, die in Ordnungslisten eingetragen sind. Zudem würden die Namen dieser Tiere nicht einfach aus der Fachliteratur verschwinden.

Würden alle diese Spezies umgenannt, könne dies die Forschung, laut den Angaben der Kommission, sehr schädigen. Sie sieht sich aber eher einer stabilen Taxonomie, derer sich die Wissenschaft bedienen kann, verpflichtet. Nur so könnten Biologen klar kommunizieren und sich ihrer Aufgabe, den Artbestand zu erhalten und zu beschreiben, widmen.

Also gibt es gar keine Hoffnung auf einen neuen Namen für den Hitlerkäfer? Nicht ganz. Beim 20. Internationalen Botanischen Kongress, der 2024 in Spanien stattfindet, soll das Thema debattiert werden. Auch über die Einsetzung eines Ethikrates, der die Zoologen bei solchen Fragen beraten soll, will man dann sprechen.

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