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Tierschutz

Tierheime schicken Brandbrief an Bundesregierung: »Verzweifelte versuchen Hunde selbst zu töten

Hunde sitzen im Tierheim in einem Zwinger
Viele Hunde mit Verhaltensauffälligkeiten sitzen jahrelang in Tierheim, die immer voller werden und nun an die Belastungsgrenze gekommen sind Foto: Getty Images / Valeriy Volkonskiy
Louisa Stoeffler
Redakteurin

26.07.2023, 17:15 Uhr | Lesezeit: 11 Minuten

Schon lange fordern Tierschützer mehr Unterstützung für ihre Arbeit. Nun haben Tierheime und das Bündnis Schattenhund einen Brandbrief an die Bundesregierung verfasst. Die Situation sei so katastrophal, dass verzweifelte Halter eigenhändig versuchten, ihre Tiere zu töten.

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„Zu viele Schnauzen für zu wenig Hände, die Tierheime sind am Ende“ – unter diesem Motto haben sich Tierschützer, Hundetrainer und Tierheime im Bündnis Schattenhund mit einem Brandbrief an die Bundesregierung gewandt. „Wir haben gemahnt, appelliert, aufgefangen und jetzt brechen wir unter der Last der in Not geratenen Tiere zusammen“, lautet der erste Satz des Briefes. PETBOOK sprach mit den Beteiligten, die von schrecklichen Vorfällen und schwer vermittelbaren Schattenhunden berichten, die jahrelang das Tierheim nicht verlassen.

Warum schreiben die Tierheime ihren Brandbrief?

In ihrem Brief wenden sich eine Reihe von Tierheimen an das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, Minister Cem Özdemir und die Tierschutzbeaufragte der Bundesregierung, Frau Ariane Kari (PETBOOK berichtete über die Ernennung). Unter anderem schreiben die Mitglieder des Bündnisses Schattenhund, dass die Tierheime die Verträge mit den Städten und Kommunen kaum noch erfüllen könnten. Auch die Ämter seien überlastet und stünden nun vor einer stetig steigenden Anzahl an Hunden, für welche es keine Tierheimplätze mehr gebe.

Die Ursachen hierfür sehen die Tierheime unter anderem in:

  • unkontrolliertem Handel mit Hunden (vor allem über das Internet) bzw. dem illegalen Welpenhandel,
  • dem übermäßigen unkontrollierten Import von Hunden aus dem Ausland und die damit einhergehende Problemverlagerung nach Deutschland
  • der fehlenden Reglementierung für Zuchtverbände (Qualzucht, Sachkunde, Überprüfung etc.),
  • der mangelnden Sachkunde der Hundehalter,
  • dem Fachkräftemangel in Tierheimen und tierheimähnlichen Einrichtungen,
  • den veralteten Finanzierungsmodellen für Tierheime / gänzlich fehlende finanzielle Mittel,
  • der unzureichenden Ausbildung für Tierheimmitarbeiter
  • und dem fehlenden Prozedere zur einheitlichen Anerkennung des Hundetrainer-Berufs.

Zudem sei die Bereitschaft von Hundehaltern, fachlich-versierte Hilfe in Anspruch zu nehmen, nicht ausreichend und die Beißvorfälle häuften sich. „Hundeschulen, Pensionen und andere tierheimähnliche Einrichtungen stoßen an ihre (Kapazitäts-)Grenzen. Die Zahl der Hunde, welche jährlich im Tierheim abgegeben werden sollen, aber nicht aufgenommen werden können, bewegt sich bereits im vierstelligen Bereich – mit steigender Tendenz.“

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Welche Lösungen die Tierheime in ihrem Brandbrief vorschlagen

Dieser Zustand sei nicht mehr tragbar, deshalb haben die Tierheime in ihrem Brandbrief an das Bundesministerium auch einige Forderungen aufgenommen. Es ginge dabei jedoch nicht darum, einen Schuldigen in der ganzen Geschichte zu suchen, wie die Hundetrainerin und ehemalige Leiterin des Tierheims Lübeck, Elena Iva Cujic, im Gespräch mit PETBOOK sagte. „Wir wollen Lösungen. Wir wollen für etwas kämpfen und brauchen daher Konzepte. So wie es jetzt ist, ist es vor die Wand gefahren.“

Die Lösungsvorschläge des Bündnisses Schattenhund sind:

  • nachhaltige Konzepte sowie Maßnahmen für die Eindämmung und Überwachung des Hundehandels,
  • eine fachlich fundiertere Ausbildung für Tierpfleger und erweiterte Qualifizierungsmöglichkeiten,
  • einen Befähigungsnachweis für Neuhundehalter,
  • die konsequente Durchsetzung des Qualzuchtverbotes, sowie ein Verbot der wahllosen, nicht reglementierten Vermehrung von Hunden,
  • die Stärkung der Städte und Kommunen, um bestehende Gesetze und Verordnungen zum Schutz der Tiere entsprechend umzusetzen,
  • konsequentere Kontrollen und Reglementierungen für den Import von Hunden aus dem Ausland,
  • eine Registrier- und Kennzeichnungspflicht von Hunden,
  • ein einheitliches Prozedere zur Anerkennung des Hundetrainer-Berufs,
  • neue Finanzierungsmodelle für Tierheime und schnelle Hilfe in Notsituationen.

Tierheimleiterin Sabine Urbainsky vom Tierschutzverein Frankfurt am Main und Umgebung von 1841 e. V., teilte PETBOOK mit, warum sie den Brandbrief jetzt schrieben. „Weil wir nun endgültig am Limit sind. Täglich kommen Abgabeanfragen für Tiere rein, sogar deutschlandweit. Zum größtenteils leider auch verhaltensauffällige Hunde, die enorme Kosten verursachen und lange den Platz blockieren. Gleichzeitig fehlt uns das Fachpersonal.“

„Verzweifelte Hundehalter lassen ihre Hunde töten“

Zudem erheben die Tierheime des Bündnisses Schattenhund den Vorwurf, verzweifelter Halter würden ihre Hunde durch Tierärzte töten lassen wollen oder versuchten, sie selbst zu töten. Außerdem versuchten sie, sie unter Angabe falscher Tatsachen im Tierheim abzugeben oder im Internet zu verkaufen.

Sabine Urbainsky sagte PETBOOK zu diesem Punkt, dass das Tierheim täglich Anrufe von verzweifelten Hundehalter bekomme, die ihr Tier aufgrund von verschiedenen Problematiken nicht mehr halten könnten. „Oft, weil das Tier innerhalb der Familie gebissen hat. Leider sind auch einige Auslandsorganisationen darunter, die ihre Tiere als nett vermitteln, aber dann nicht begleiten, wenn es zu Problemen kommt. Oftmals können sie auch die Hunde nicht mehr zurücknehmen. Manchen Hundehalter drohen uns mit Aussetzen oder dass sie das Tier töten lassen.“ Wie viele Tierärzte mit der Tötung der Hunde konfrontiert seien, könne sie nicht genauer sagen.

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»Wenn einfach kein Platz mehr ist, was dann?

Auch Elena Iva Cujic, die als Hundetrainerin Erfahrung mit verhaltensauffälligen Hunden gesammelt hat, erzählt PETBOOK, sie habe solche Anrufe schon oft bekommen. Es sei rechtlich gesehen auch völlig klar, dass Tierärzte dies gar nicht machen dürfen. „Aber wie sieht die Lösung aus, wenn zum Beispiel ein Hund ein Kind verletzt und das Tierheim ihn nicht mehr aufnehmen kann? Wenn einfach kein Platz mehr da ist und die Polizei und der Amtstierarzt mit diesem Hund dastehen, was dann?“

Laut der Hundetrainerin entstehe dadurch eine Not von Haltern. Die Ursachen dafür finden sich wiederum im Brandbrief der Tierheime wieder. „Jeder kann einen Hund kaufen und auch jeder kann einen Hund vermitteln. Ohne die nötige Sachkunde. Das muss das nicht mal im bösen Willen passieren.“ Zudem habe der Hund vielleicht ein unerkanntes Thema, weshalb er schon häufig gebissen habe. „Es ist also ein Teufelskreis und deswegen haben wir auch vielfältig die Ursachen aufgezeigt und gesagt, es gibt so viele Ecken und Kanten, wo wir dran arbeiten müssen und es hat sich leider angestaut. Es sind so viele Dinge, wo man im Einzelnen hätte früher anfangen können. Jetzt ist es aber, wie es ist. Und deswegen haben wir versucht, das so sachlich wie möglich einmal aufzuführen.“

Das Phänomen Schattenhunde

Viele verhaltensauffällige Hunde sitzen manchmal über Jahre hinweg im Tierheim und werden zu den sogenannten Schattenhunden. Diese „sind Hunde, die trotz Trainings- und Resozialisierungsbemühungen immer speziell bleiben und kaum verantwortungsvoll an den Otto-Normal-Hundehalter mit Kindern und Garten vermittelt werden können und somit zu Langzeitinsassen in den Tierheimen werden“, heißt es auf der Website des Bündnisses. Unter dem Begriff Schattenhund könne man eine Vielzahl von Hunden mit Problemverhalten zusammenfassen:

  • Hunde mit gesteigertem Aggressionsverhalten gegen Menschen und andere Tiere
  • mangelnde Sozialisation auf Umweltreize
  • gesteigertes Beutefangverhalten
  • jahrelange, isolierte Haltung ohne Menschenkontakt

Schattenhunde seien in ihrer Verhaltensindividualität vielfältig.

Sabine Urbainsky bestätigt PETBOOK, dass es tatsächlich aber auch Hunde gibt, die einfach nicht mehr vermittelbar sind. „Dennoch gibt es auch einige schwierige Kandidaten, die mit dem richtigen Halter durchaus noch eine Chance auf ein harmonisches Zusammenleben haben. Diese Menschen aber kann man sich an fünf Fingern abzählen.“ Auch der Vermittlungsprozess solcher Hunde stelle die Tierheime vor Herausforderungen. „Die Menschen müssen bereit sein, den Hund öfter zu besuchen, mit unserer Hundetrainerin zusammenzuarbeiten. Wenn jemand bei uns einen schwierigen Hund adoptieren will, zahlen wir auch die ersten Trainingsstunden von unserer Trainerin, die dann den Auszug begleitet.“ 

Tierschützerin: „Passiert das hier gerade wirklich?“

Elena Iva Cujic sprach mit PETBOOK über ihre Angst, dass wenn die Tierheime jetzt nicht handelten, die Situation weiter eskalieren könnte. „Dann werden vielleicht politische Entscheidungen getroffen werden, ohne sachlichen Rat hinzuzuziehen.“ Die Hundetrainerin und Tierschützerin sprach über einen Fall, in dem sie einen Hund sichern musste. „Die Leute haben selber versucht, ihn umzubringen. Mit Betäubungsmittel, was sie sich beschafft haben. Weil sie ihn nicht mal mehr aus dem Zwinger herausgekriegt haben.“ Die Halter hätten ihren Hund nicht mehr anfassen können und er habe sie mehrfach verletzt.

Die Halter hätten dies getan, weil sie sich nicht mehr zu helfen wussten. „Wenn man als Tierschützer vor diesen Menschen steht, dann denkt man sich: Passiert das hier gerade wirklich? Stehe ich hier gerade wirklich vor Leuten, die mir erzählt haben, wie sie versucht haben, ihren Hund umzubringen? Aus Angst und aus der Not heraus, weil keiner gekommen ist?“ Die Hundetrainerin fragt sich auch, wer überhaupt hätte helfen können. „Dass ich das mache oder Kollegen von mir – natürlich. Wir sind dafür geschult. Wir haben uns das auch ausgesucht, mit solchen Hunden zu arbeiten.“

Was muss sich ändern?

„Die Menschen müssen sich vorher Gedanken machen, was sie sich für einen Hund anschaffen möchten. Kann man der Rasse auch gerecht werden? Ist man bereit, in die Hundeschule zu gehen? Passt ein Hund gerade in die Lebenssituation und kann man die Bedürfnisse des Hundes auch wirklich befriedigen?“ fasst Sabine Urbainsky die komplexe Situation zusammen. Zudem müsse man den Hund wieder als Hund behandeln und nicht als Partnerersatz betrachten.

Zudem seien die Forderungen ja auch Lösungsansätze, so Sabine Urbainsky. Neben strengeren Einfuhrregelungen sollten auch Auslandsorganisationen in der Lage sein, ihre Tiere wieder aufnehmen zu können. „Zudem bräuchte es strengere Regeln für Privatzüchter und der Verkauf von Tieren und Privathalter sollen eine Sachkunde für die Haltung ihres Hundes ablegen.“ Zudem wünscht sich die Leiterin des Tierheims in Frankfurt-Fechenheim endlich ein Qualzuchtverbot. „Die Kommunen, Städte und Gemeinden müssen endlich anfangen, die Kosten angemessen mitzutragen und sich nicht einfach aus allem mit ein paar Peanuts raus zu halten.“

»Verletzte Mitarbeiter im Tierschutz sind den Leuten egal

Dazu heißt es im Brandbrief der Tierheime weiter: „Die Hunde werden, ohne Rücksicht auf gesundheitlichen oder verhaltensnotwendigen Zuchtausschluss, aus Profit-, Mode- und Optikgründen für den übersättigten Markt produziert. Das Resultat des unüberwachten ‚Konsums‘ der Hunde und fehlender/ falscher Erziehung sind Hunde, welche oft jahre- oder lebenslang im Tierheim verbleiben, immer häufiger krank und/oder verhaltensauffällig sind. Die Vermittlung der Hunde stagniert aufgrund ausbleibender Nachfrage. Die Tierheimmitarbeiter arbeiten meist auf Mindestlohnbasis und/oder ehrenamtlich. Hierbei riskieren sie täglich ihre physische sowie psychische Gesundheit und werden häufig verletzt.“

Elena Iva Cujic, die auch eine Petition zum Brandbrief ins Leben rief, erzählt PETBOOK in Gespräch mehr dazu: „Es ist wirklich ein Teufelskreis und da müssen wir raus. Da haben wir gesagt: ‚Komm, wir müssen jetzt was tun, wir müssen was für die Tierheime tun.‘ Ich habe selber fünf Jahre ein Tierheim geleitet. Ich weiß, wie das aussieht. Wie sie da die Mitarbeiter verbrennen. Sie werden gebissen, sie gehen kaputt. Wenn in einem anderen Betrieb eine Maschine nicht funktioniert und ein Mitarbeiter wird verletzt, dann gibt es einen Riesenaufriss. Im Tierschutz ist es ist den Leuten egal.“

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So reagiert das BMEL

Eine Sprecherin des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft ordnete den Brandbrief der Tierheime für PETBOOK wie folgt ein: „Die Arbeit der Tierheime ist unverzichtbar und bedarf ausreichender Finanzmittel. Eine Finanzierungszuständigkeit des Bundes besteht aber nicht. Sämtliche Kosten, die sich aus dem Vollzug des Tierschutzgesetzes ergeben, sind von den Ländern zu tragen. Daneben sind für den Unterhalt und den Betrieb von Tierheimen die Städte und Kommunen zuständig.“ 

Daneben habe der Bund sowohl zur Abfederung Corona-bedingter Kosten als auch zur Abfederung von Kosten durch die Unterbringung und Versorgung von Tieren aus der Ukraine den Tierheimen Finanzhilfen zur Verfügung gestellt. Im Hinblick auf die gestiegenen Energiekosten habe sich das BMEL beim federführenden BMWK dafür eingesetzt, dass auch privatrechtliche Organisationen wie Tierschutzvereine in das Entlastungspaket einbezogen werden. Im Rahmen des zusätzlichen „Abwehrschirm gegen die wirtschaftlichen Folgen des russischen Angriffskriegs“. Darüber hinaus solle der ermäßigte Umsatzsteuersatz von sieben Prozent auf Gas bis zum Frühjahr 2024 angewendet werden.

Zur Unterstützung der Arbeit in Tierheimen sei im Koalitionsvertrag zudem die Einrichtung einer Verbrauchsstiftung angedacht. Die Einsetzung einer solcher Stiftung werde vom Ministerium gegenwärtig noch geprüft. Des Weiteren möchte man darauf hinweisen, dass der § 11 des Tierschutzgesetzes bereits die Hundezucht regele. Danach sei für eine ‚gewerbsmäßige Hundezucht‘ eine Erlaubnis des zuständigen Veterinäramtes notwendig. Der Vollzug obliege den Ländern.

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