11. Juni 2025, 5:56 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Es gibt sie, diese Hunde, die alles auf den Kopf stellen. Die nicht einfach „mitlaufen“, sondern einen Alltag fordern, der durchdachter ist, als ein Terminkalender im Bundestag. PETBOOK-Autorin und Hundetrainerin Katharina Marioth gibt Tipps, wie man den Alltag mit anstrengenden Hunden bewältigen kann.
Manche Hunde bellen, bevor man einen Gedanken überhaupt zu Ende gedacht hat und rennen hyperaktiv durch die Wohnung oder wittern ängstlich hinter jedem Busch einen Weltuntergang. Diese Hunde sind vielleicht anstrengend, aber nicht „schlecht erzogen“. Sie sind keine Fehlkonstruktionen. Sie sind einfach viel. Und mit genau diesen Hunden möchte ich in diesem Artikel sprechen. Besser gesagt: mit ihren Menschen. Denn während andere entspannt mit ihrem Labrador durch den Stadtpark schlendern, stehen viele von Ihnen vor ganz anderen Herausforderungen – zwischen Schuldgefühlen, Frust, Überforderung und dem tiefen Wunsch, dass es irgendwann einfach mal leichter wird. Und ich verspreche Ihnen: Es darf leichter werden.
Was bedeutet eigentlich „anstrengend“ und was steckt dahinter?
„Anstrengend“ ist kein objektiver Begriff. Was für die eine Person nervenaufreibend ist, ist für die andere Alltag. Trotzdem zeigt die Erfahrung: Es gibt gewisse Hundepersönlichkeiten, die einfach mehr Management, mehr Nervenstärke und mehr Verständnis brauchen als andere.
Ein Hund kann „anstrengend“ sein, weil er:
- reaktiv ist – also schnell, intensiv und mit wenig Verzögerung auf Reize reagiert.
- ängstlich oder unsicher ist – was oft zu Meideverhalten oder Übersprungshandlungen führt.
- übererregbar ist – er findet schwer in die Ruhe und wirkt dauerhaft „unter Strom“.
- frustrationstoleranzschwach ist – was z. B. zu Bellen, Springen oder Zerren führen kann.
- sich selbst schwer regulieren kann – also Schwierigkeiten hat, von Aufregung wieder herunterzufahren.
Die Ursachen liegen oft in einer Mischung aus Genetik, Erfahrung, Erziehung, Umwelt und Gesundheit. Manchmal sind es Frühtraumata, manchmal schlechte Zucht, manchmal schlicht: zu viel vom Guten. Wichtig ist: Ein „anstrengender“ Hund ist kein schlechter Hund – und Sie sind kein schlechter Mensch, weil Sie manchmal mit ihm überfordert sind.
Erste Hilfe für die Nerven: Tagesstruktur, Ruhezonen und Routinen
Einer der größten Stressverstärker im Alltag ist Unklarheit – für den Hund und den Menschen. Deshalb ist Struktur oft der erste Schritt in Richtung Entlastung.
Tipp 1: Feste Tagesstruktur
Hunde mit wenig innerer Sicherheit profitieren enorm von äußeren Ritualen. Futterzeiten, Gassi-Zeiten, Ruhephasen, Spiel- und Trainingsfenster – je klarer der Ablauf, desto weniger Unsicherheit entsteht. Das bedeutet nicht, dass jeder Tag gleich sein muss – aber dass es eine Vorhersehbarkeit gibt.
Tipp 2: Klare Ruheorte
Ein fester Liegeplatz (idealerweise nicht im Durchgang) ist kein Bonus, sondern Grundausstattung. Der Hund braucht einen Ort, der ihm signalisiert: Hier musst du nichts machen. Hier darfst du einfach sein. Manche Hunde profitieren auch von einer visuellen Abgrenzung (z. B. mit einem Babygitter oder Sichtschutz), um Reize besser auszublenden.
Tipp 3: Weniger ist mehr
Gerade sehr aktive oder reaktive Hunde sind oft Opfer von zu viel Input. Drei große Gassirunden, Hundeschule, Spielgruppe, Intelligenzspielchen – all das kann zu viel sein. Stattdessen: bewusst Pausen einbauen, auch mal bewusst nichts tun. Langeweile ist nicht schlimm – sie ist Teil der Regulation.
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Typische Fehler im Alltag – und wie man sie vermeidet
Gerade bei nervenaufreibenden und anstrengenden Hunden machen viele Menschen (aus bestem Willen!) Dinge, die das Problem eher verstärken. Ein paar Klassiker:
- Ständige Erklärungen: „Das ist nur ein anderer Hund, du brauchst keine Angst haben.“ – klingt nett, ist aber für den Hund irrelevant. Klare Führung wirkt besser als gute Worte.
- Zu viele Korrekturen: Ein Hund, der permanent gemaßregelt wird, lernt nicht, was er tun soll, sondern nur, was er nicht darf. Das erhöht Frust und Unsicherheit.
- Unklare Grenzen: Mal darf der Hund aufs Sofa, mal nicht. Mal wird das Ziehen kommentarlos ignoriert, mal wird laut geschimpft. Das sorgt für Chaos im Hundekopf.
- Vergleiche mit anderen Hunden: „Der Hund meiner Freundin ist so entspannt.“ – Ja, schön für sie. Aber dein Hund ist dein Hund. Und der braucht eben etwas anderes.
Tools & Techniken für schwierige Momente
Was hilft, wenn’s richtig knallt? Hier ein paar Techniken, die Sie in ruhigeren Momenten anwenden können:
Impulskontrolle
Übungen wie „Bleib“, „Schau mich an“ oder kontrolliertes Warten vor dem Napf helfen dem Hund, sich selbst zu regulieren. Wichtig: Nicht in Stresssituationen üben, sondern zu Hause im sicheren Rahmen.
Deeskalationssignale
Lernen Sie, Körpersprache zu lesen – und Ihrem Hund auch mit Ihrer Körpersprache Sicherheit zu geben. Langsames Atmen, weiche Bewegungen, ruhige Stimme – Ihr Hund orientiert sich an Ihnen.
Entspannung verknüpfen
Bauen Sie gezielt Entspannungsanker auf – z. B. mit einer Entspannungsmusik, einem bestimmten Duft oder einem Kauartikel auf dem Lieblingsplatz. Diesen Anker können Sie später in schwierigeren Momenten einsetzen.
Reizreduktion
Wenn Ihr Hund an der Leine andere Hunde anpöbelt, gehen Sie nicht täglich auf derselben Hundewiese spazieren. Stattdessen: Strategisches Meiden, Aufbau von Alternativverhalten, gezieltes Training in kleinen Dosen.
Kommunikation nach außen: Familie, Nachbarn & Co.
Einer der größten Stressoren für Hundehalter ist oft nicht der Hund – sondern das soziale Umfeld. Vorwürfe, blöde Kommentare, übergriffige „Tipps“ oder auch innerfamiliäre Konflikte. Deshalb: sprechen Sie offen.
Sagen Sie Ihrer Familie, was Sie brauchen: Unterstützung statt Bewertung. Erklären Sie Ihren Nachbarn kurz und freundlich, warum Ihr Hund gerade bellt – oder hängen Sie einen kleinen Zettel im Hausflur auf.
Und bitte: Lassen Sie sich nicht von Außenstehenden verunsichern, die 0,0 Plan von Ihrem Alltag haben.
Es ist okay überfordert zu sein
Es gibt Tage, da ist man einfach durch. Da steht man mit einem schreienden Hund an der Leine, in der Hand den dritten kaputten Kackbeutel, und man fragt sich: Was zum Teufel mache ich hier eigentlich?
Wissen Sie was? Diese Frage ist völlig normal. Und sie macht Sie nicht zu einem schlechteren Menschen. Sondern zu einem Menschen, der sich kümmert. Der es gut machen will. Und der manchmal einfach eine Pause braucht.
Holen Sie sich Hilfe, wenn Sie nicht weiterwissen. Ob Trainer, Verhaltenstherapie oder einfach mal ein offenes Gespräch mit jemandem, der Sie versteht. Sie müssen das nicht allein schaffen.

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Fazit: Zwischen Couch und Chaos liegt ein Weg
Ein „anstrengender“ Hund ist kein Endurteil. Es ist ein Ist-Zustand. Und Sie haben jede Möglichkeit, damit umzugehen – in Ihrem Tempo, mit Ihren Mitteln, auf Ihre eigene Weise. Sie brauchen keinen perfekten Hund. Und Sie müssen auch nicht perfekt sein. Sie brauchen Klarheit, Geduld, Humor – und vielleicht einen Kaffee mehr als andere. Und falls Sie heute das Gefühl haben, Ihr Hund ist einfach zu viel – dann erinnern Sie sich daran: Für ihn sind Sie genau richtig.