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PETBOOK-Interview

Gutachterin fordert Ende von Rasselisten und Wesenstests: »Grundsätzlich gefährliche Hunde gibt es nicht! 

Katharina Marioth ist nicht nur Hundetrainerin, sondern auch Sachverständige für Wesenstests.
Katharina Marioth ist nicht nur Hundetrainerin, sondern auch Sachverständige für Wesenstests. Foto: Katharina Marioth
Dennis Agyemang
Redakteur

13.01.2024, 16:15 Uhr | Lesezeit: 9 Minuten

Seit Tagen diskutiert Deutschland darüber, inwiefern Listen mit „potenziell gefährlichen Hunderassen“ noch zeitgemäß sind. Auslöser dafür war unter anderem die Stadt Cuxhaven, die zum Jahresbeginn die Hundesteuer für einige Listenhunderassen auf knapp 1000 Euro erhöht hat. Nun sprach PETBOOK mit Katharina Marioth. Sie ist Hundetrainerin und Gutachterin für Wesenstests.

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Gute Hunderasse, schlechte Hunderasse. So oder so ähnlich lässt sich stark vereinfacht die Idee hinter den Listehunderassen zusammenfassen. So vereinen diese Listen unterschiedliche Hunderassen und daraus resultierende Mischlingshunde, die in einigen Bundesländern als potenziell gefährlich gelten. Für sie gelten – je nach Bundesland – verschiedene Regeln und Haltungsauflagen.

Mancherorts müssen Tiere, die zu diesen bestimmten Rassen gehören oder von ihnen abstammen, zu Wesenstesten. Dort soll herausgefunden werden wie gefährlich der jeweilige Hund ist und unter welchen Auflagen er gehalten werden darf. PETBOOK sprach mit Katharina Marioth, Hundetrainerin und Gutachterin für Wesenstests.

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Katharina Marioth: «Jeder Hund sollte geprüft werden

PETBOOK: Frau Marioth, Sie sind Gutachterin bei Wesenstests. Wie sinnvoll finden Sie die Vorgaben und die Tests an sich? 
Katharina Marioth: „Ich würde mir bei Wesenstests wünschen, dass man sich nicht nur auf bestimmte Rassen festlegt, sondern dass jeder Hund geprüft wird. Mir wäre wichtig, dass mal überprüft wird, warum diese Hunde eigentlich auf der Liste stehen. Dafür gibt es ja Null-Komma-Null Kriterien.

Es kann nicht das Gewicht sein, denn müssten 40 andere Hunderassen da ja auch mit draufstehen. Es kann auch nicht die Größe sein, dann müssten mindestens 80 weitere Rassen auf der Liste sein. Daher würde ich mir wünschen, dass es da viel mehr Dialog zwischen Praxis – also Gutachtern und Fachleuten – mit der Politik gibt und man diesen Zustand nicht einfach immer so weiterfährt, weil er eben da ist.“

Haben sie die Erfahrung gemacht, dass es bei den „normalen“ Hunderassen wesentlich mehr verhaltensauffällige und insgesamt mehr Hunde gibt, von denen tatsächlich eine Gefahr ausgeht, die aber total unter dem Radar fliegen?
„Die größte Problematik ist ja immer die Frage: Ab wann ist denn ein Hund ein gefährlicher Hund? Das trifft ja immer zu, wenn wir übersteigertes Jagd- oder Aggressionsverhalten beobachten können. Gerade in Bezug auf übersteigertes Jagdverhalten betrifft das weit mehr Hunde als Gutachten, die wir erstellen.“

Katharina Marioth und ihr American Staffordshire Terrier Helmut.
Katharina Marioth und ihr American Staffordshire Terrier Helmut. Foto: Katharina Marioth

Katharina Marioth: „Rasselisten sind überhaupt nicht mehr zeitgemäß“

Kann man Ihrer Erfahrung nach sagen, dass es Rassen gibt, die grundsätzlich gefährlicher sind als andere? Ist das Konzept Listenhund überhaupt noch zeitgemäß?
„Nein. Ich kann aus meiner Erfahrung nicht sagen, dass es rassespezifisches Aggressionsverhalten im klassischen Sinne gibt. Es gibt natürlich Rassen, die zu schnellerer Erregbarkeit neigen, aber das hat natürlich nichts mit den eigentlichen Listenhunden zu tun. Und nein, ich finde, Rasselisten sind überhaupt nicht mehr zeitgemäß, sondern wir sollten in Bezug auf sie bundesweit viel mehr darauf setzen, dass man insgesamt das Zusammenleben zwischen Mensch und Hund sowie Hund und Hund über Aufklärung betreibt und nicht über ‚gewürfelte Listen‘, die festgelegt werden.“

Kann man – wenn wir jetzt mal von der einen Seite auf die andere Seite der Leine springen – im Allgemeinen sagen, dass es für Menschen zu einfach ist, an sogenannte Listenhunde heranzukommen?
„Das ist so eine ganz schwierige Sache. Wir bewegen uns in dem Bereich immer im Parallelthema illegale Zucht und illegaler Welpenhandel. Und das betrifft natürlich nicht nur Listenhunde.“

Sie sind ja nicht nur Gutachterin für Wesenstest, sondern auch Hundetrainerin. Haben sie den Eindruck, dass Hunde, die aus diesen illegalen Zuchten kommen, vielleicht sogar von der Welpen-Mafia, vermehrt dazu neigen, verhaltensauffälliger zu sein als andere Hunde?
„Na ja, diese Hunde sind natürlich häufig einfach schon schwer vorbelastet. Die Mutter-Hündin ist oft schwer traumatisiert, gerade wenn wir über Welpen-Mafia, also wirklich sogenannte ‚Vermehrer‘ sprechen. Dann wurde die Mutter-Hündin, bevor die Welpen auf die Welt kommen, schon massivem Stress ausgesetzt. Darüber gibt es mittlerweile auch eine wirklich gute Studienlage. Etwa zu der Frage, welchen Stress überträgt die Mutter-Hündin bereits vor der Geburt auf die Welpen?

Und dann sind die Aufzuchtbedingungen für diese Hunde natürlich immer denkbar suboptimal, also wirklich noch weniger als suboptimal. Das provoziert natürlich auch Verhaltensauffälligkeiten von Angst über Unsicherheit, aber eben auch bis zu wirklich schwerer Traumatisierung.“

Katharina Marioth: „Jeder Hund hat 42 Argumente im Maul“

Wenn wir jetzt noch mal zurück zum Thema Wesenstests gehen: Welche Herausforderungen und Probleme erleben Sie da in Ihrem Berufsalltag?
„Wenn wir uns das Beispiel Berlin oder jetzt aktuell auch Cuxhaven mal anschauen, dann ist es ja erst mal etwas Willkürliches, was in einer Amtsstube festgelegt wird. Also diese und jene Rassen sind gefährlich und alle anderen gelten damit ja erst mal ungefährlich. Diese Annahme ist natürlich Quatsch, denn per se hat einfach jeder Hund 42 Argumente im Maul.

Ich habe häufig eher die Erfahrung gemacht, dass Menschen, die keinen Listenhund haben, die dann aber aufgrund eines Vorfalls einen Wesenstest brauchen, die Gefährlichkeit ihres Hundes vollkommen falsch einschätzen. Wohingegen die meisten Listenhundebesitzer sehr wohl wissen, welche Verantwortung sie für und mit einem Listenhund haben.“

Viele Listenhundehalter beklagen, dass es deutschlandweit keine einheitliche Handhabe gibt – weder bei den Rassen, den Vorschriften, den Kosten noch wie die Tests überhaupt aufgebaut sind und was genau getestet wird. Wäre hier eine Einheitlichkeit sinnvoll? 
„Also an Einheitlichkeit würde ich mir wünschen, dass man Rasselisten abschafft. Ich finde aber, dass sich ein Hund-Halter-Gespann in irgendeiner Form miteinander auf eine Prüfung oder eine Überprüfung vorbereiten kann, generell richtig und wichtig. Man darf auch nicht vergessen, wie viel Bürokratie so eine Rasseliste bindet. Die Veterinärbehörden sind ja mehr damit beschäftigt, zu verwalten, anstatt sich auf ihre ‚eigentlichen Aufgaben‘ zu konzentrieren.“

 Katharina Marioth wurde in der TV-Show „Der Hundetrainer-Champion“ zur besten Hundetrainerin Deutschlands gewählt.
Katharina Marioth wurde in der TV-Show „Der Hundetrainer-Champion“ zur besten Hundetrainerin Deutschlands gewählt. Foto: privat

Katharina Marioth: «Es braucht niedrigschwellige und einfache Lösungen

Aber wäre es, wenn man festlegen würde, dass alle Hunde grundsätzlich auf ihr Wesen überprüft werden, nicht sogar noch viel bürokratischer als jetzt?
„Na ja, es ist ja die Frage, ob man das zum Beispiel mit einer Steuererleichterung macht. Es gibt ja bundesweit genug Gutachter – beispielsweise die für den Hundeführerschein oder ähnliches. Sie sind ja durchaus bereits da. Warum schafft man da nicht einen Anreiz und sagt: ‚Mensch, beschäftigen Sie sich mit Ihrem Tier, damit sie ein gutes Team werden.‘ Das sollte ja eigentlich der Sinn sein.

Ich finde, Österreich macht da in einigen Teilen – speziell in Salzburg – eine Sache echt gut. Es ist ganz einfach und unbürokratisch: Maulkorb oder Leine. Da muss aber jeder Hundehalter einmal einen Sachkundenachweis ablegen. Also das finde ich schon sinnvoll – gerade in Ballungszentren, wo wir eine enorme Dichte an Hunden haben. Mein größter Wunsch wäre aber natürlich Aufklärung, Aufklärung, Aufklärung.“

In einigen Städten und Kommunen wurden die Steuern für Listenhunde erhöht –teilweise bis zu knapp 1000 Euro pro Jahr. Ist das gerechtfertigt oder Schikane? Was steckt Ihrer Meinung nach dahinter?
„Hundesteuer ist ja im Sinne des Steuerrechts eine sogenannte Luxussteuer. Die ist natürlich für jede Haushaltsplanung ein willkommener Posten, um zusätzliche Gelder, die nicht zweckgebunden verwendet werden müssen, zu generieren. Aber das ist natürlich eine absolute Ungerechtigkeit und der Sinn dahinter ist natürlich zu sagen, ‚wir wollen diese Hunde nicht bei uns in der Gemeinde, Kommune oder Stadt.‘“

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Katharina Marioth: „Für die Menschen ist das natürlich eine absolute Katastrophe“

In Großbritannien gibt es gerade eine Offensive gegen American Bully XL-Hunde, bei der jetzt die Halter bedrängt werden, weshalb viele ihre Bullies nach Schottland bringen (PETBOOK berichtete). Das nimmt aber wohl so überhand, dass nun die schottische Regierung dem einen Riegel vorschieben will. Wie schätzen Sie die Situation ein und welche Gefahr geht grundsätzlich von diesen Tieren aus?
„Ich habe mir mal die Kriterien angeschaut, nach denen in Großbritannien jeder Hundehalter überprüfen kann, ob sein Hund möglicherweise ein American Bully XL oder XXL ist. Wenn man sich diese Kriterien durchliest, da raufe ich mir tatsächlich die Haare, weil das dann plötzlich viel, viel mehr Hunde betrifft. Also noch viel mehr Hunde als ‚nur‘ die American XL Bullys.

Ja, es handelt sich hier um einen massigen Hund. Für die American Bullys XL gilt aber genau das gleiche wie für andere Hunderassen auf der Liste auch. Die weltweite Studienlage besagt, dass es keine rassespezifische Aggression gibt. Aggressionsverhalten ist nicht genetisch fixiert – anderes Verhalten durchaus. Das ist einfach der aktuelle Zeitgeist und für die Menschen in Großbritannien ist das natürlich eine absolute Katastrophe.“

Sie hatten erwähnt, dass hier Parallelen zu einem Berliner Urteil aus dem letzten Jahr sehen.
„In Berlin gab es letztes Jahr ein Urteil, bei dem ein Rassegutachter einen Hund vor Gericht begutachten sollte, bei dem die Halterin geklagt hatte, dass es sich nicht um einen Listenhund handelt. Der Gutachter hat anhand der Phänotypbeurteilung des Hundes festgemacht, dass dieser Hund eine Mischung zwischen Pitbull Terrier und American Staffordshire Terrier sein soll.

Aufgrund dieses Gerichtsurteil hat dann das Land Berlin beschlossen, dass American Bullys nicht mehr als Rassebezeichnung anerkannt werden, und zwar mit der Begründung, dass es keine vom FCI anerkannte Rasse ist. Damit hatten auf einmal in Berlin ganz viele American-Bully-Besitzer auf einmal einen Listenhund.“

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„Dieser Rasse-Bann ist eine tierische Katastrophe“

Was bedeutet das korrekt für die Halter?
„Damit geht natürlich auch ganz viel einher. Ich brauche eine schriftliche Genehmigung meines Vermieters, dass ich einen ‚gefährlichen Hund‘ im Sinne des Hundegesetzes halten darf. Das geht nicht nur um den Hund, da geht es zum Teil um Wohnungsverlust. Was da noch alles dranhängt an gesetzlichen Verpflichtungen und Regelungen wird mit der Umsetzung ad absurdum geführt. Denn was der Gutachter in Berlin eben festgestellt hat, dass es auch ein Pitbull-Mischling ist. Pitbull Terrier sind aber von der FCI auch keine anerkannte Rasse, aber stehen auf der Rasseliste. Da beißt sich die Katze in den Schwanz. Dieser Rasse-Bann ist eine tierische Katastrophe im klassischen Sinn.“

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