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Extreme Energiesparer

Schon gewusst? Kolibris verfallen jede Nacht in einen Winterschlaf

Schwarzbauch-Glanzschwänzchen an einer Blüte, einer der Kolibris, der jede Nacht Winterschlaf hält
Das Schwarzbauch-Glanzschwänzchen war einer der ersten Kolibris bei der ein Winterschlaf in der Nacht beobachtet wurde Foto: picture alliance / Minden Pictures | Tui De Roy
Louisa Stoeffler
Redakteurin

19. Mai 2025, 14:48 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten

Sie sind winzig, bunt und scheinbar stets in Bewegung – Kolibris sind für ihren faszinierend schnellen Flug und ihren ewigen Hunger auf Nektar bekannt. Was aber geschieht mit den Kleinstvögeln, wenn das Blütenkelch-Büfett über Nacht geschlossen ist? Dann fallen Kolibris einfach in einen Winterschlaf!

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Der Steckbrief von Kolibris liest sich wie ein Rekordversuch in jeder Hinsicht: Das Herz der winzigen Vögel schlägt bei starker Aktivität bis zu 1200-mal pro Minute. Ihre Flügel flattern bis zu 80-mal pro Sekunde, was ihnen erlaubt, in der Luft quasi „zu stehen“ und sogar rückwärts zu fliegen. Allerdings benötigen die winzigen Vögel dafür auch extrem viel Energie. Daher nehmen sie jeden Tag etwa das Dreifache ihres Körpergewichts an energiereichem Blütennektar zu sich – sind also ständig am Naschen, weil ihr Stoffwechsel sonst schnell ihre Reserven aufgezehrt hätte. In der Nacht können Kolibris das aber nicht – sie fallen einfach in einen ebenso rekordverdächtigen Mini-Winterschlaf.

Kolibris kühlen sich im Winterschlaf extrem ab

Zuerst wurde das Phänomen, das auch Torpor genannt wird, bei Kolibris in den Anden beobachtet. Wie bei einem „echten“ Winterschlaf verfallen die Vögel in eine Starre, fahren ihre lebenswichtigen Funktionen herunter und kühlen merklich ab. Im Jahr 2020 wurde dies in einer Studie auch wissenschaftlich bestätigt. Die Forscher fingen 26 Kolibris abends ein und überwachten nachts ihre Vitalparameter. Dabei zeigte sich, dass alle drei Anden-Kolibris ihren Stoffwechsel und ihre Körpertemperatur extrem herunterfuhren.

Das müssen sie auch, denn die Anden zählen zu den extremsten Lebensräumen auf der Erde. Sie sind der längste Gebirgszug der Welt und erreichen in vielen Regionen über 5000 Meter Höhe. In diesen extremen und sehr trockenen Berglandschaften herrschen besondere Bedingungen für die Kolibris: Die Luft enthält weniger Sauerstoff, die Temperaturen können nachts weit unter den Gefrierpunkt fallen, und das Wetter ist oft unberechenbar. Also gingen die Forscher mit der These an die Untersuchung heran, dass Kolibris in eine Art Torpor mit einer Körperwärme von unter 30 Grad verfallen müssen.

Die wirklichen Messwerte waren dann aber auch für die erfahrenen Biologen eine Überraschung. Denn eine der Kolibri-Arten, das Schwarzbauch-Glanzschwänzchen, kühlte sich sogar auf 3,26 Grad herunter. Außerdem untersuchten die Forscher die Dauer dieses Zustandes. Manche Tiere verweilten nur 2,5 Stunden in diesem Winterschlaf, andere über 12 Stunden. Bei den Tieren, die sich am längsten im Torpor befanden, konnten die Forscher auch den geringsten Gewichtsverlust über Nacht dokumentieren. 1

Auch Kolibris in den Tropen halten nächtlichen Winterschlaf

Dass Kolibris in den Anden also diese clevere Strategie nutzen, um die eiskalten Nächte zu überstehen, leuchtet ein. Was aber ist mit Kolibris in eher gemäßigten oder tropischen Klimazonen? Wie eine weitere Studie 2023 bestätigen konnte, verfallen Kolibris auch hier in einen nächtlichen Torpor!

In dieser Untersuchung wurden 37 Individuen aus sechs Kolibriarten im Tiefland von Panama während der Trockenzeit dokumentiert. Auch hier wurden die Tiere mit Temperaturmesssensoren ausgestattet und über Nacht in einer kontrollierten Umgebung beobachtet, die die natürliche nächtliche Umgebung simulierte. Die Temperatur wurde nur von 30 °C auf 24 °C gesenkt, wie es auch in den Tropen der Fall ist.

Die Ergebnisse waren dabei eindeutig: 32 von 37 Kolibris (etwa 86 Prozent) nutzten Torpor. Und dass sogar schon bei Umgebungstemperaturen von 28 °C oder mehr. Damit tritt Torpor auch bei Bedingungen auf, die bisher als „zu warm“ dafür galten. Bei vier Arten der Amazilia-Kolibris wurde dieser Zustand erstmals überhaupt dokumentiert. Und noch etwas zeigte sich: Je kleiner ein Vogel, desto häufiger und tiefer trat er in den Torpor ein. Die leichteste Art (Amazilia amabilis) verbrachte im Schnitt 57 Prozent der Nacht in diesem Zustand.

Auch hier zeigte sich wieder der klare Nutzen der Strategie: Vögel, die länger im Torpor verweilten, verloren signifikant weniger Körpermasse über Nacht. Dennoch lag der durchschnittliche Massenverlust mit acht bis zehn Prozent höher als bei Kolibris aus höheren, kühleren Regionen (dort etwa 4 Prozent). 2

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Kolibris brauchen Torpor, um über Nacht nicht zu verhungern

Die Ergebnisse erweitern das bisherige Verständnis von Thermoregulation bei Vögeln grundlegend. Sie deuten darauf hin, dass der allnächtliche Winterschlaf bei Kolibris entlang eines Spektrums zwischen Routine bei kleinen Arten und gemäßigter Ausprägung bei größeren einzuordnen ist.

Daher liegt der Schluss nahe, dass diese extreme Strategie bei Kolibris evolutionär fest verankert ist. Die Strategie ist nicht nur entscheidend dafür, dass sie über Nächte ohne Nahrung überstehen ohne durch ihren schnellen Stoffwechsel ihre Reserven aufzuzehren. Denn der Torpor sorgt nicht nur dafür, dass Kolibris über Nacht nicht verhungern, sondern auch dafür, dass sie in der Lage waren, extreme Höhen zu besiedeln.

Themen Tiere der Amerikas

Quellen

  1. Wolf, B.O., McKechnie, A.E., Schmitt, C.J., Czenze, Z.J., Johnson, A.B. & Witt, C.C. (2020). Extreme and variable torpor among high-elevation Andean hummingbird species. Biology Letters, 16: 20200428. ↩︎
  2. Pollock, H. S., Lamont, D., MacDonald, S. E., Spence, A. R., Brawn, J. D., & Cheviron, Z. A. (2023). Widespread torpor use in hummingbirds from the thermally stable lowland tropics. Physiological and Biochemical Zoology, 96(2), 119-127. ↩︎

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