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PETBOOK-Interview

Peta-Vorsitzende Ingrid Newkirk: »Wofür wir als extrem gelten, wird künftig normal sein

Porträtaufnahme von Ingrid Newkirk, Vorsitzende der Tierrechtsorganisation Peta
Ingrid Newkirk gründete 1980 gemeinsam mit dem bekannten Aktivisten Alex Pacheco die Tierrechtsorganisation Peta, deren Vorsitzende sie bis heute ist Foto: PETA-USA
Porträt Saskia Schneider auf dem PETBOOK Relaunch
Redaktionsleiterin

28.04.2023, 16:48 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten

Peta ist nicht nur eine der weltweit größten Tierrechtsorganisation, sie gilt auch als eine der lautesten. Manche halten die Aktionen und Kampagnen, mit denen sie gegen Massentierhaltung, Pelztierhaltung, Tierversuche oder die Fleischindustrie kämpft, gar für extrem. In Rahmen der „Top-Leaders“-Reihe hat PETBOOK Gründerin und Vorsitzenden Ingrid Newkirk zu der Entwicklung im Tierschutz und zu den Zielen befragt.

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PETBOOK: Frau Newkirk, gab es ein ausschlaggebendes Ereignis, das zur Gründung von Peta geführt hat? Warum sind Sie nicht einfach einer anderen Tierschutzorganisation beigetreten? 
Ingrid Newkirk: „Als ich im Jahr 1980 Peta USA, die erste unserer heutigen Partnerorganisationen, gründete, war es der Traum jedes kleinen Mädchens, einen Pelzmantel zu tragen. Wer sich hingegen für den Schutz von Tieren engagieren wollte, der konnte lediglich Geld an ein Tierheim spenden, andere Möglichkeiten gab es nicht. Ich sah mir damals verschiedene Tierversuchslabore an und musste feststellen, dass für die wissenschaftliche Forschung in der Arzneimittelentwicklung unglaublich viele Tiere dort katastrophal behandelt wurden: Sie lebten in kleinen Metallkäfigen und hatten vor Angst schon fast den Verstand verloren. Ich habe mir damals auch landwirtschaftliche Betriebe und Tierhaltungsbetriebe für die Bekleidungsindustrie angesehen und erkannte, dass auch dort unfassbares Tierleid herrscht. Mir wurde klar: Es braucht eine neue Organisation, die die Öffentlichkeit wachrüttelt und den Menschen das aufzeigt, was ich mit meinem Blick hinter die Kulissen erfahren habe.“

Was unterscheidet Peta von anderen Tierrechtsorganisationen? 
„Jede Organisation, die sich aktiv dafür einsetzt, das Leid der Tiere zu verringern, ist wichtig. Peta unterscheidet sich von anderen dahingehend, dass wir uns nicht nur auf einen bestimmten Bereich, wie etwa den Schutz von Wildtieren oder die Ausbeutung von Tieren in der Nahrungsmittelindustrie konzentrieren. Vielmehr möchten wir den Menschen verständlich machen, dass Tieren generell kein Leid zugefügt werden sollte – aus keinem Grund. Wir zeigen auf, dass es prinzipiell falsch ist, Tieren grundlos Gewalt anzutun, sie geringschätzig zu behandeln, kein Verständnis für ihre arteigenen Bedürfnisse aufzubringen oder ihnen das Leben zur Hölle zu machen. Denn jedes einzelne Tier empfindet Schmerzen, Freude, Einsamkeit und Trauer und sehnt sich nach einem Leben frei von Unterdrückung.“

„Heute trägt auch niemand mehr Pelz, außer vielleicht ältere Menschen“

Zur Zeit von Petas Gründung wurden die Themen Vegetarismus und Tierrechte noch belächelt. Glauben Sie, dass heute ein allgemeiner Sinneswandel stattfindet?
„Es hat sich unglaublich viel verändert. Als wir damals anfingen, wussten die Leute nicht einmal, was ein Veganer oder eine Veganerin ist. In den USA beispielsweise dachten viele, das seien vielleicht Menschen, die in Las Vegas leben! Wer eine Kuhmilchallergie hatte oder die Trennung der Kälber von ihren Müttern in der Milchindustrie nicht unterstützen wollte, musste sich Sojadrink aus Sojapulver und Wasser selbst zubereiten. Heute hingegen haben wir eine große Vielfalt an pflanzlichen Milchalternativen aus Hafer, Cashews, Soja, Mandeln, Kokos und vielem mehr. Heute trägt auch niemand mehr Pelz, außer vielleicht ältere Menschen – was natürlich nicht heißt, dass ich etwas gegen das Altern habe, ich werde schließlich selbst bald 74. Es ist einfach eine Tatsache. Mittlerweile ist veganes Leder aus Kaktus, Äpfeln und Trauben voll im Trend. Und Federn aus entsorgten und recycelten Blumen sind der letzte Schrei. Solche Produkte sind nicht nur gut für die Umwelt, sondern auch frei von Tierleid.“

„Immer mehr Menschen wollen mehr darüber erfahren, wie Tiere in unserer Gesellschaft gehalten werden“

Macht sich dieser Wandel auch in Ihren Mitgliederzahlen bemerkbar? 
„Oh ja, wir haben mit fünf Personen angefangen – heute haben wir mehr als 9 Millionen Unterstützerinnen und Unterstützer weltweit. Diese Entwicklung zeigt ziemlich deutlich: Immer mehr Menschen wollen mehr darüber erfahren, wie Tiere in unserer Gesellschaft gehalten werden, und treffen darauf basierend tierfreundliche Konsumentscheidungen. Passend dazu trägt eines meiner Bücher auch den Titel ‚Making Kind Choices’, also: tierfreundliche Entscheidungen treffen.“

Was war der größte Erfolg, den Sie mit Peta in den vergangenen zehn Jahren erzielt haben? 
„Das Wort ‚Vegan‘ steht heute auf den Verpackungen unzähliger Produkte und ist sprichwörtlich in aller Munde. Immer öfter entscheiden sich sogar Behörden und Schulen gegen den Konsum von Fleisch und Milchprodukten. Zudem sind uns in jüngster Vergangenheit zwei große Erfolge gelungen: Zum einen konnten wir die Schließung von Envigo durchsetzen. Dieser große US-Hundezuchtbetrieb hatte Tierversuchslabore in verschiedenen Ländern beliefert. Im Rahmen der Schließung haben wir 4000 Beagle gerettet, die mittlerweile alle ein gutes Zuhause gefunden haben. Zum anderen konnten wir die Schließung eines Tierversuchslabors im südamerikanischen Kolumbien durchsetzen, das von der US-Regierung finanziert worden war. Alle 100 kleine Nachtaffen, Hunderte Mäuse und ein Kaninchen – also der gesamte ‚Tierbestand‘ des Labors – konnten wir an Auffangstationen vermitteln.“

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»Bitte kaufen Sie keine Tiere, adoptieren Sie welche aus dem Tierschutz

Peta gilt im Vergleich zu anderen Tierschutzorganisationen als ziemlich radikal und sogar extrem …
„Vieles, für das wir früher verhöhnt wurden, ist heute im Mainstream angekommen – sei es unser Einsatz für die Abschaffung von Zirkussen mit Tieren, unsere Arbeit gegen Pelz in der Bekleidungsindustrie und auf Modeschauen oder unsere Bemühungen zur Förderung einer veganen Lebensweise. Das freut uns natürlich sehr. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt: Alle sozialen Bewegungen wurden schon immer von Menschen verspottet, die an ihren Gewohnheiten festhalten wollten, ohne groß darüber nachzudenken. Das war sogar bei Kinderarbeit oder beim Eigentumsrecht von Frauen so. Sie werden sehen: Alles, was wir heute sagen und tun, und wofür wir als ‚extrem‘ bezeichnet werden, wird künftig als normal gelten.“

In der Coronakrise stieg die Nachfrage nach tierischen Mitbewohnern stark an. Viele dieser Tiere wurden wieder abgegeben, die Tierheime sind voll. Steigende Kosten bringen viele Einrichtungen an ihre Belastungsgrenze. Kann man von einer Krise im Tierschutzbereich sprechen? 
„Ja, das stimmt. Viele Menschen haben sich in der Corona-Zeit aus rein egoistischen Gründen leichtsinnig einen Hund oder eine Katze angeschafft. Die meisten dieser Tiere hatten in der Vergangenheit schon einmal ihr Zuhause verloren und dachten nun, dass sie endlich wieder Teil einer Familie sind. Doch wie so oft wurden auch sie vielfach wieder entsorgt, als die Menschen merkten, dass die Tierhaltung nun nicht mehr in ihren Alltag passte oder die Versorgung der sogenannten Haustiere zu teuer wurde. Ich appelliere nachdrücklich an alle, die mit dem Gedanken spielen, einen tierischen Mitbewohner bei sich aufzunehmen: Bitte kaufen Sie niemals ein Tier, sondern adoptieren Sie Tiere ausschließlich aus dem Tierschutz. Nur so retten Sie tatsächlich einem Tier das Leben und vermeiden, dass durch Ihren Kauf neue Tiere nachgezüchtet werden. Wenn Sie die Möglichkeit haben, adoptieren Sie gleich zwei Tiere, damit sie sich gegenseitig Gesellschaft leisten können, während Sie arbeiten oder aus anderen Gründen nicht zu Hause sein können.“

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„Wer nichts tut, macht sich mitschuldig“

Sie sind bereits seit mehr als 40 Jahren bei Peta tätig. Welche Prioritäten sehen Sie für die kommenden Jahre? 
„Wir müssen den Menschen die Augen öffnen und ihnen verständlich machen, dass Tiere keine Objekte sind. Tiere sind nicht dazu da, dass wir sie für unsere Zwecke nutzen. Sie sind eigenständige Lebewesen mit eigenen Interessen, eigenem Denkvermögen und eigener Kultur. Sie habe ihre jeweilige Sprache und kommunizieren auf eine Art und Weise, die wir bislang erst im Ansatz erforscht haben. Dieses Ziel nimmt für uns oberste Priorität ein. Ich habe keinen Zweifel daran, dass wir auch andere barbarische Gewohnheiten der Menschen beenden werden, wenn wir unsere Arbeit uneingeschränkt fortführen. Dazu zählen etwa die Trophäenjagd oder sogenannte Schliefenanlagen, in denen Füchse zur Ausbildung von Jagdhunden entsetzlich gequält werden. Im Bereich der Forschung werden Tierversuche künftig durch tierfreie Methoden ersetzt. Darunter etwa Verfahren wie Organ-on-a-Chip oder ein künstliches Lungenmodell, an dessen Entwicklung Peta USA beteiligt war.“

Was würden Sie Menschen raten, die mehr für den Tierschutz machen wollen, aber denen das Geld oder die Zeit fehlt?
„Das Wertvollste, was wir in einem freien Land haben, ist die Möglichkeit, unsere Meinung zu äußern. Verteilen Sie also gerne Infomaterialien zur veganen Lebensweise, die Sie bei Peta in großer Auswahl finden. Laden Sie die Menschen in Ihrem Umfeld zum Essen ein und zeigen Sie ihnen, wie köstlich die vegane Küche ist. Zeigen Sie Tierdokus und posten Sie Informationen zu Tierrechten auf Ihren Social-Media-Kanälen wie Twitter oder Facebook. Sehen Sie niemals weg, wenn Sie Tierquälerei beobachten oder Kenntnis davon erhalten. Denn wer nichts tut, macht sich mitschuldig. Setzen Sie sich höflich, aber bestimmt für diese Tiere ein, werden Sie aktiv – denn dann wird sich etwas ändern.“

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