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PETBOOK-Interview mit Ariane Kari

Bundestierschutzbeauftragte: »Eine bundesweite Kastrationspflicht für freilaufende Haustiere ist dringend notwendig!

Porträtbild Bundestierschutzbeauftragte Ariane Kari
Ariane Kari ist Deutschlands erste Bundestierschutzbeauftragte und seit 2023 im Amt Foto: BMEL
Porträt Saskia Schneider auf dem PETBOOK Relaunch
Redaktionsleiterin

29.04.2024, 11:33 Uhr | Lesezeit: 10 Minuten

Ariane Kari ist nicht nur Tierärztin mit Schwerpunkt Tierschutz. Sie ist auch Deutschlands erste länderübergreifende Tierschutzbeauftragte der Bundesregierung. Im großen PETBOOK-Interview spricht sie über ihr erstes Jahr im Amt und über die Schritte, die im Tierschutz noch gegangen werden müssen.

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Mit der Einrichtung der allerersten Bundestierschutzbeauftragten hält die aktuelle Regierung ein Koalitionsversprechen ein. Ariane Désirée Kari ist seit 2016 mit der Tierschutzarbeit bestens vertraut, ist ehemalige stellvertretende Landestierschutzbeauftragte in Baden-Württemberg und Amtstierärtzin mit Schwerpunkt Tierschutz. Was konnte sie bislang auf ihrem neuen Posten erreichen?

Im großen PETBOOK-Interview erzählt die Bundestierschutzbeauftragte mehr über die Schwerpunkte ihrer Arbeit, über dringend notwendige Entlastung der Tierheime und weshalb es eine einheitliche Kastrationspflicht für Haustiere und Sachkundenachweise braucht.

Bundestierschutzbeauftragte: „Wir schulden Tieren Gerechtigkeit“

PETBOOK: Frau Kari, wenn man Medienberichte zum Thema Tierschutz verfolgt, bekommt man das Gefühl: ‚Es brennt an allen Ecken!“ Wo fängt man da an?
Ariane Kari
: „Grundsätzlich besteht im Tierschutz natürlich ein enormer Handlungsbedarf in nahezu allen Bereichen – vom Heimtiersektor über die Haltungsbedingungen landwirtschaftlich genutzter Tiere bis hin zur Wildtierhaltung in Zoos und Zirkussen. Obwohl Tierschutz als Staatsziel im Grundgesetz und damit ein Optimierungsgebot verankert ist, wurde Jahrzehnte lang viel zu wenig getan. Vieles wird jetzt angegangen, aber es ist unmöglich, alles in kürzester Zeit zu lösen.

Umso wichtiger ist es mir, strukturiert vorzugehen, sodass ich ein Arbeitsprogramm entwickelt habe, das drei Säulen umfasst:

  • Die fachliche Beratung bei Gesetzgebungsverfahren,
  • eine vertiefte Schnittstelle mit der Rechtswissenschaft sowie
  • die Öffentlichkeitsarbeit.

Denn wir schulden Tieren Gerechtigkeit und hierfür muss der Tierschutzvollzug gestärkt und das Tierschutzrecht verbessert werden.“

Wo liegt aktuell der Schwerpunkt bei Ihrer Arbeit?
„Ein wichtiger Schwerpunkt meiner Arbeit ist derzeit die Novellierung des Tierschutzgesetzes, die für dieses Jahr geplant ist. Daher bringen mein Team und ich uns mit Stellungnahmen in das Rechtsetzungsverfahren ein und treten auch an Entscheidungsträger:innen mit unseren Empfehlungen heran.

Zudem habe ich zum Beispiel einen regelmäßig stattfindenden Runden Tisch zur Lage der Tierheime in Deutschland, sowie eine jährliche Frühjahrskonferenz zu aktuellen Tierschutz-Themen initiiert.“

„Mit großem Engagement lässt sich auch mit wenigen klugen Köpfen viel auf die Beine stellen“

Sie sind die erste Bundestierschutzbeauftragte und seit 2023 im Amt. Was waren bisher ihre größten Herausforderungen?
„In den ersten Monaten ging zunächst einmal viel Arbeitszeit für Organisatorisches weg. Ich brauchte eine eigene Geschäftsstelle. Seit Anfang 2024 ist mein Team nun vollständig. Außerdem sind die Tätigkeitsfelder im Tierschutz extrem vielseitig, wie schon dargestellt. Ich sehe es auch als Teil meiner Aufgabe, Fernziele zu benennen, denn diese bieten natürlich langfristige Planungssicherheit für Tierhaltende.

Von daher würde ich sagen, dass die größte Herausforderung war und noch immer ist, all die vielschichtigen Tierschutzprobleme im Blick zu haben und ihnen ausreichend gerecht zu werden. Aber mit einer klaren Schwerpunktsetzung und großem Engagement lässt sich auch mit wenigen klugen Köpfen viel auf die Beine stellen.“

„Bundesweite Kastrationspflicht dringend notwendig“

Haben Sie selbst auch Tiere?
„Ich bin mit Tierschutz-Hunden aufgewachsen und könnte mir auch vorstellen, in Zukunft wieder einen Hund zu halten. Allerdings bin ich derzeit beruflich so stark eingebunden, dass mir einfach die Zeit dafür fehlt, den Bedürfnissen eines Hundes gerecht zu werden. Und dies sollte bei der Anschaffung von Tieren stets im Vordergrund stehen. Deshalb habe ich derzeit auch Goldfische in meinem Gartenteich.“

Sie sind auch Tierärztin. Wären Sie für eine bundesweite Kastrationspflicht für Katzen?
„In Deutschland gibt es laut Schätzungen rund zwei Millionen Straßenkatzen. Treiber dieser Population sind jedoch nicht selten unkastrierte Hauskatzen, die entweder entlaufen sind oder Freigang haben. Seit Langem ist die Population der Straßenkatzen so stark angestiegen, dass dies auch die ehrenamtlich im Katzenschutz Aktiven überfordert. Und nun steht aktuell auch noch eine vermehrte Aufnahme von Katzenwelpen an – die sogenannten Maikätzchen, also die Jungtiere, die im Mai geboren werden.

Es steht für mich daher außer Frage, dass eine bundesweite Kastrationspflicht dringend notwendig ist, um dauerhaft sowohl Katzenleid zu mindern, als auch Tierheime zu entlasten. Selbstredend kombiniert mit einer bundesweiten Kennzeichnungs- und Registrierungspflicht für Katzen (aber auch für Hunde), die es unter anderem ermöglicht, entlaufene Tiere schnell zuzuordnen und nach Hause zurückzubringen.“

Bundestierschutzbeauftragte: „Die Lage der Tierheime ist dramatisch“

Viele Menschen haben sich zur Corona-Zeit Tiere angeschafft. Das hat nicht nur zur Folge, dass die Tierheime voll sind. Es entstand auch viel Leid, weil vielen das nötige Wissen über das Bedürfnis der Tiere fehlte. Ist der Sachkundenachweis für Tiere überfällig?
„Die Lage der Tierheime in Deutschland ist dramatisch und ihre akute Überlastung eines der dringlichsten Tierschutzprobleme im Heimtierbereich. Es gibt leider immer noch sehr viele Menschen, die sich spontan Hunde oder andere Heimtiere kaufen. Ohne sich darüber Gedanken zu machen, ob das Tier gesund ist, wo es im Urlaub verbleibt oder wer die Tierarztkosten zahlt. Und wenn diese Fragen dann akut werden, werden die Tiere leider viel zu häufig aus Überforderung in Tierheimen abgegeben.

Ein Sachkundenachweis würde dafür sorgen, dass sich mögliche Halter:innen bereits vor der Anschaffung eines Hundes Gedanken über solche Fragen machen müssten. Das würde den Missständen in den Tierheimen genauso entgegenwirken wie der Qualzucht oder dem illegalen Welpenhandel. Ein Sachkundenachweis würde also genau da ansetzen, wo die meisten Probleme im Heimtierbereich herrühren – der zu geringen Sachkunde vor dem Heimtierkauf.“

»Ich bin für einen bundesweit einheitlich geregelten Sachkundenachweis

Ist es absehbar, dass der Sachkundenachweis für Haustiere wie Hund, Katze oder Kaninchen kommt?
„Den verpflichtenden Sachkundenachweis für Hundehalter:Innen basierend auf dem Gefahrenabwehrrecht gibt es schon jetzt in ein paar Bundesländern. Ich bin jedoch für einen bundesweit einheitlich geregelten Sachkundenachweis, der im Tierschutzrecht verankert wird und aus einem theoretischen und einem praktischen Teil besteht – und das unabhängig von der Größe oder der Rasse eines Hundes.

Der theoretische Teil sollte noch vor der Anschaffung des Tieres erfolgen. Der Fokus sollte dabei auch auf den ‚pain points‘ der Heimtierhaltung liegen: illegaler Welpenhandel, Qualzucht etc. Für den praktischen Teil ist es wiederum förderlich, wenn der Hund schon einige Monate in seiner neuen Umgebung ist. Daher sollte dieser Teil einige Monate nach der Anschaffung des Tieres erfolgen und den Umgang des Haltenden mit dem Hund im öffentlichen Raum prüfen.

Ob und wann ein solcher Sachkundenachweis kommen wird, ist schwer abzuschätzen. Hier sind noch einige Hürden zu überspringen und Entscheidungsträger:innen zu ermutigen. Ich bleibe da aber mit Nachdruck dran.“

»Tierschutzgesetz enthält im Bezug auf einige Fragen noch keine zufriedenstellenden Regelungen

Das Tierschutzgesetz wird gerade überarbeitet und löst bereits jetzt viel Diskussionen aus. Viele Tierschützer hatten bereits 2023 große Hoffnungen darauf gesetzt und waren dann enttäuscht. Was wird sich Ihrer Meinung nach durch die Novelle ändern?
„Die geplante Novellierung des Tierschutzgesetzes ist die größte Reform des Tierschutzrechtes der vergangenen Jahrzehnte und enthält einige Punkte, die das Potenzial haben, Tierschutzstandards langfristig zu verbessern. Hierzu zählen zum Beispiel präzisere Regelungen zur Qualzucht und zum Online-Handel.

Allerdings enthält der Entwurf insbesondere in Bezug auf Fragen wie die Anbindehaltung von Rindern, den Lebendtiertransport in außereuropäische Drittstaaten sowie die Amputation von Tieren, um sie an Nutz- und Halteformen anzupassen, noch keine zufriedenstellenden Regelungen. Genau solche Gesetze wären allerdings dringend nötig, um dem Staatsziel Tierschutz auch im landwirtschaftlichen Bereich gerechter zu werden.“

Werden Wildtiere im Zirkus bald verboten?

Tierschutz ist oft besonders schwierig, wenn wirtschaftliche Interessen mitschwingen. Wie gehen Sie mit Frustration von Landwirten und Zirkusbetreibern um, die um ihre Existenzen fürchten, wenn mehr Tierschutz in den Stall einziehen oder Wildtiere aus dem Zirkus verschwinden sollen?
„Meine zentrale Aufgabe als Bundestierschutzbeauftragte ist es, die Bundesregierung politisch und fachlich unabhängig zu sämtlichen tierschutzrelevanten Fragestellungen zu beraten und den Tieren eine öffentliche Stimme zu geben.

Ich spreche dabei natürlich auch mit Tierhaltenden-Organisationen, Landwirt:Innen oder Zirkusbetreiber:Innen und lasse fundierte Argumente in meine Arbeit einfließen. So setze ich mich unter anderem dafür ein, dass der nachhaltige Umbau der landwirtschaftlichen Tierhaltung noch stärker politisch gefördert wird. Außerdem bin ich im Bereich der Etablierung neuer landwirtschaftlicher Förderprogramme aktiv und bringe mich in die Verbraucheraufklärung ein.

Aber um eines deutlich zu machen: Der Fokus meiner Arbeit liegt stets darauf, die Bedingungen, unter denen Tiere gehalten werden, zu verbessern – eben meine Stimme für die Tiere zu erheben.“

Was macht Ihnen an Ihrer Arbeit als Bundestierschutzbeauftragte am meisten Spaß?
„Der schönste Teil meiner Arbeit ist, dass ich die Möglichkeit habe, mich, meiner persönlichen Überzeugung entsprechend, aktiv dafür einzusetzen, dass es Tieren in jeglicher Umgangsform zwischen Menschen und Tieren bessergeht. Außerdem komme ich ständig mit sehr vielen anderen ehren- und hauptamtlichen Tierschützer:Innen in Kontakt, die Inspirierendes für den Tierschutz leisten. Und das stimmt mich wiederum in Bezug auf meine eigene Arbeit sehr hoffnungsvoll.“

Bundestierschutzbeauftragte Ariane Kari: »Wünsche mir Verbot von Anbindehaltung und Qualzuchten

Wenn Sie sich drei Maßnahmen für den Tierschutz wünschen könnten, die die Politik in den nächsten Jahren umsetzen müsste, welche wären das?
„Drei Maßnahmen sind natürlich sehr wenig im Verhältnis dazu, was sich alles dringend innerhalb des Tierschutzes verbessern muss. Wenn ich aber hierauf beschränkt wäre, wäre mein erster Wunsch ein vollständiges Verbot der Anbindehaltung von Rindern.

Bei dieser Haltungsform, die in Deutschland noch immer weitverbreitet ist, werden Rinder mittels Ketten oder Gurten im Stall fixiert. Ihr Bewegungsradius ist dabei in etwa so groß wie ein Billardtisch – und das häufig ganzjährig oder zumindest über viele Monate in der sogenannten ‚Kombinationshaltung‘. Sowohl die ganzjährige Anbindehaltung als auch die ‚Kombinationshaltung‘ gehen mit enormem Tierleid einher und sind daher inakzeptabel.

Mein zweiter Wunsch wäre ein umfassenderes bzw. konkretisierendes Verbot sogenannter Qualzuchten – sowohl im Heimtier- als auch im Nutztierbereich. Zu den Qualzuchtmerkmalen von Hunden und Katzen zählen zum Beispiel extreme Kurzköpfigkeit oder besonders ausgeprägte Skelettanomalien. Diese gehen für Tiere per se mit schweren gesundheitlichen Folgen wie Atemnot und Gelenk- und Wirbelschäden einher.

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»Tierschutzgesetz ist keinesfalls mit einem Verbot bestimmter Hunderassen gleichzusetzen

Darum gab es die letzten Wochen viel Diskussionen, Hundezüchter befürchteten sogar ein „Dackelverbot“…
„Paragraf 11b des Tierschutzgesetzes verbietet bereits heute die Zucht von Tieren mit krank machenden Merkmalen, die zu Schmerzen, Leiden und Schäden führen. In der geplanten Novellierung des Paragrafen werden diese Qualzuchtmerkmale nun konkretisiert. Dies würde mehr Rechtssicherheit für Züchter:Innen und Halter:Innen schaffen. Und: Es ist, entgegen diverser Medienberichte der vergangenen Wochen, keinesfalls mit einem Verbot bestimmter Hunderassen gleichzusetzen. Vielmehr bedeutet die Konkretisierung von Qualzuchtmerkmalen eine Förderung der Zucht von gesunden Tieren. Und dies sollte jedem respektablen Züchtenden ohnehin ein Anliegen sein.“

Und ihr letzter Wunsch als Bundestierschutzbauftragte?
„Mein letzter Wunsch wäre ein nationales Verbot von Lebendtiertransporten in sogenannte Tierschutzhochrisiko-Staaten außerhalb der EU. Langstreckentransporte – ob auf dem Land- oder auf dem Seeweg – sind für die betroffenen Tiere ohnehin schon mit den tage- und teilweise sogar wochenlangen Einschränkungen ihrer elementarsten Bedürfnisse verbunden. Auch Temperaturen, sehr hohe wie niedrige, sind sehr belastend für die Tiere in den Transportern – und daher in keinem Fall mit dem Tierschutz kompatibel.

Hinzu kommt beim Transport in sogenannte Hochrisiko-Staaten, dass der Tierschutz in den meisten Zielländern kaum eine Rolle spielt – teilweise sind Tiere dort noch nicht einmal rechtlich geschützt. Außerdem hat die EU, sobald die Transporte ihr Territorium verlassen haben, ohnehin kaum Möglichkeiten mehr, die Einhaltung von Tierschutzstandards sicherzustellen. Aus Tierschutzsicht wäre mir ein Verbot solcher Transporte daher ein großes Anliegen, auch mit Blick auf das Staatsziel Tierschutz.“

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