
26. Juni 2025, 16:46 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Still, leise – und doch in Not: Schmerzen bei Kaninchen werden oft übersehen. Wer das vertraute Haustier richtig versteht, kann jedoch früh erkennen, wenn etwas nicht stimmt. Denn Schmerz zeigt sich bei Kaninchen nicht lautstark, sondern in feinen Signalen.
Sie kauern still in der Ecke, ziehen sich zurück oder reagieren plötzlich aggressiv – was für Außenstehende nach Verhaltensauffälligkeit aussieht, kann ein stiller Hilferuf sein: Schmerzen beim Kaninchen sind schwer zu erkennen und werden häufig übersehen. Denn sie zeigen sich bei ihnen nicht lautstark, sondern in feinen Signalen: ein verändertes Gesicht, zurückgezogene Haltung, plötzliche Aggression. Dieser Artikel zeigt, worauf Halter achten müssen – und welche wissenschaftlichen Schmerzskalen helfen, Leiden rechtzeitig zu erkennen.
Warum Kaninchen Schmerzen verstecken
Kaninchen sind Fluchttiere – und als solche darauf angewiesen, Schwäche oder Erkrankung möglichst nicht zu zeigen. In freier Wildbahn würde ein sichtbar krankes Tier schnell zur leichten Beute. Dieses instinktive Verhalten hat sich auch bei Hauskaninchen erhalten: Statt zu jammern oder deutliches Unwohlsein zu zeigen, ziehen sich Kaninchen zurück, verändern ihr Verhalten minimal oder werden ungewöhnlich aggressiv.
Genau diese stoische Art macht es so schwierig, Schmerzen rechtzeitig zu erkennen. Nur durch genaues Beobachten und das Wissen um feine Veränderungen in Mimik, Haltung oder Verhalten lassen sich Schmerzen überhaupt identifizieren – ein Grund, warum geübte Halter und spezialisierte Tierärzte besonders wichtig sind. Wissenschaftlich validierte Skalen helfen, Schmerzzeichen zu deuten und ermöglichen eine gezielte Schmerztherapie.
Woran man Schmerzen im Gesicht von Kaninchen erkennt
Ein veränderter Gesichtsausdruck kann ein deutlicher Hinweis auf Schmerzen sein – besonders bei starken Beschwerden. Die sogenannte Rabbit Grimace Scale (RbtGS) wurde an der Newcastle University unter der Leitung von Dr. Matthew Leach entwickelt. Das Ziel: eine zuverlässige Methode zur Einschätzung von Schmerzen bei Kaninchen anhand ihrer Gesichtsausdrücke. Die Untersuchung wurde 2012 im Fachjournal „PLOS ONE“ veröffentlicht.
Die Forscher erarbeiteten fünf mimische Merkmale („action units“) im Gesicht von Kaninchen, die bei Schmerzen deutlich ausgeprägter auftreten. Diese Schmerzausdrucksmerkmale und ihre Veränderungen wurden erstmals systematisch dokumentiert und objektiv bewertbar gemacht. Diese Merkmale sind:
- Augenverengung: Die Lider schließen sich sichtbar, teils bilden sich Falten um das Auge.
- Backenflachheit: Die Wangen verlieren ihre runde Form, wirken eingefallen.
- Nasenform: Die Nasenlöcher verengen sich von u- zu v-Form, wobei die Nasenspitze absinkt.
- Schnurrhaare: Sie stehen vom Gesicht ab, richten sich steif nach unten.
- Ohren: Werden enger gefaltet, drehen sich von vorn nach hinten und liegen näher am Körper an.
Jede dieser Einheiten wird auf einer dreistufigen Skala bewertet: 0 = nicht vorhanden, 1 = mäßig vorhanden, 2 = deutlich vorhanden. Kurze, spontane Veränderungen werden dabei bewusst ausgeschlossen. Der RbtGS ist nicht als alleiniges Instrument gedacht, denn gerade bei Tieren, die kurze oder herunterhängende Ohren haben, kann die Bewertung schwierig sein. Daher soll sie stets gemeinsam mit anderen validierten Schmerzindikatoren eingesetzt werden. 1
Wie man Schmerzen an Körper und Verhalten erkennt
Nicht nur das Gesicht, sondern auch die Körperhaltung liefert Hinweise: Bei Schmerzen ist der Rücken deutlich gekrümmt. Die Hinterbeine werden näher zu den Vorderpfoten gezogen, das Tier wirkt zusammengekauert. Dies wurde 2022 an der Universität Bristol auch genauer untersucht und die Bristol Rabbit Pain Scale (BRPS) entwickelt. Dieses ganzheitliche Konzept konzentriert sich auf mehr Parameter und sollte mit einer längeren Beobachtung des Tiers verbunden werden. Etwa drei Minuten gelten als gute Orientierung, wenn man den Verdacht hat, dass das Kaninchen Schmerzen hat.
Die Bristol-Kaninchen-Schmerzskala bewertet das Verhalten in sieben Kategorien von 0 bis 3 Punkten:
- Verhalten: Reagiert das Kaninchen kaum auf Umweltreize oder zeigt es kein Interesse, steigt die Punktzahl.
- Fortbewegung: Aktive Tiere erhalten niedrigere Punkte; völlige Bewegungsunlust wird mit 3 Punkten gewertet.
- Körperhaltung: Ein verkrümmter, angespannter Körper deutet auf starke Schmerzen hin.
- Ohrenbewegung: Bei Schmerzen bewegen Kaninchen ihre Ohren kaum oder legen sie an.
- Augen: Geschlossene oder fest geschlossene Augen sind ebenfalls Warnzeichen.
- Körperpflege: Ein schmerzfreies Tier putzt sich regelmäßig. Fehlt diese Aktivität, kann Schmerz die Ursache sein.
- Weitere Schmerzzeichen: Z. B. Bauch auf Boden drücken oder angespannte Haltung. Dies sollte von einem Tierarzt durchgeführt werden! 2
Die gesamte Schmerzskala können Sie der folgenden Tabelle entnehmen:
Kategorie | Score 0 | Score 1 | Score 2 | Score 3 |
---|---|---|---|---|
Verhalten (Demeanour) | Kaninchen schaut sich um, ist wachsam und reagiert auf Umgebung ODER schläft | Kaninchen ist wach, aber zeigt wenig Interesse an der Umgebung | Kaninchen ist apathisch und reagiert nicht auf Umgebung oder Beobachter | Kaninchen ist völlig teilnahmslos, reagiert nicht einmal bei Annäherung |
Fortbewegung (Locomotion) | Kaninchen ist aktiv, hoppelt herum ODER ist entspannt/schläft | Kaninchen wirkt zögerlich, wenig aktiv | Kaninchen ist inaktiv, bewegt sich nur bei Annäherung | Kaninchen ist vollkommen bewegungslos, auch bei Annäherung |
Körperhaltung (Posture) | Entspannt liegend (z. B. auf der Seite), freie Bewegung | Sitzend oder liegend mit sichtbaren Vorderbeinen | Sitzend oder liegend, Beine unter dem Körper, wirkt gekrümmt | Stark gekrümmt, angespannt, Bauch evtl. auf Boden gedrückt |
Ohrenbewegung (Ears) | Ohren bewegen sich frei, drehen sich zu Geräuschen | Ohren bewegen sich leicht zu Geräuschen | Keine sichtbare Ohrenbewegung, evtl. minimale Reaktion (z. B. Kopfdrehung) | Ohren bewegen sich nicht oder liegen flach an, keine Reaktion |
Augen | Augen offen | Augen halb geschlossen | Augen geschlossen | Augen geschlossen und zusammengekniffen |
Körperpflege (Grooming) | Sorgfältige Fellpflege | Pflege unterbrochen, Ablenkung | Kaum Energie zur Fellpflege | Keine Fellpflege |

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Wie man Schmerzen bei Kleintieren erkennt

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Weitere Indikatoren für Schmerzen bei Kaninchen
Beide Tests geben bereits einen sehr guten Überblick darüber, ob ein Kaninchen Schmerzen hat. Allerdings gibt es noch ein paar Punkte, die man dabei zurate ziehen kann:
Verhalten als Schmerzindikator
Verändertes Verhalten ist oft das erste Anzeichen: Rückzug, geringe Aktivität, aggressives Auftreten oder Isolation von der Gruppe sind häufige Hinweise. Auch Lichtempfindlichkeit, ungewöhnliche Körperhaltungen oder auffälliges Bewegungsmuster zählen dazu. Aggression gegenüber Artgenossen oder dem Halter kann auf chronische Schmerzen im Kopfbereich – etwa durch Zahn- oder Ohrprobleme – zurückgehen.
Appetit und Körperpflege als Schmerzmarker
Auch Appetitverlust ist ein Warnzeichen – allerdings nicht immer vorhanden. Viele Kaninchen fressen auch mit Schmerzen weiter. Auffälliger ist meist das Ausbleiben des Blinddarmkots, ungepflegtes Fell oder übermäßiges Lecken. Besonders problematisch: Übertriebenes Lecken oder Knabbern (Automutilation) an einer (schmerzhaften) Stelle, häufig an den Gelenken, manchmal sind haarlose Stellen oder sogar Wunden die Folge.
Verdeckte Schmerzen erkennen – Diagnostik beim Tierarzt
Oft bleibt die Ursache trotz zahlreicher Tierarztbesuche lange unentdeckt. Deshalb gilt: Bei unklaren Symptomen sollte ein erfahrener Heimtierarzt konsultiert werden, am besten ein auf Kleintiere spezialisierter Veterinär. Denn eine sorgfältige Untersuchung inklusive Röntgen und Blutbild kann entscheidend sein. 3
Fazit: Kaninchen sind Meister im Verbergen von Schmerz. Doch wer ihren Ausdruck und ihr Verhalten genau kennt, kann Leiden früh erkennen – und gezielt behandeln. Gute Beobachtung, fundierte Schmerzskalen und erfahrene Tierärzte sind dabei unverzichtbar.

Zur Autorin
Sich um Tiere zu kümmern, gehört für Louisa Stoeffler einfach zum Leben dazu. Seit frühester Kindheit begleiteten sie Meerschweinchen, Kaninchen, Katzen, Kanarienvögel und Wellensittiche auf ihrem Lebensweg. Seit 2022 schreibt sie darüber auch als Fachredakteurin bei PETBOOK. Besonders am Herzen liegen ihr dabei jene Tiere und Themen, die oft im Schatten der öffentlichen Aufmerksamkeit stehen – wie die richtige Versorgung und Pflege von Kleintieren. Ihr Ziel: komplexe Zusammenhänge verständlich aufbereiten, Tierschutz stärken und Leserinnen und Leser für die Vielfalt der Tierwelt sensibilisieren.