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Carmen Schell im Interview

Expertin spricht über die größten Probleme zwischen Katze und Mensch

Katzenpsychologin im Interview
Katzenpsychologin Carmen Schell gibt wertvolle Tipps für die Stärkung der Mensch-Katze-Beziehung. Foto: Getty Images/Evrymmnt / Carmen Schell
Sonja Jordans

18.04.2024, 06:41 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten

Carmen Schell ist Verhaltensexpertin für Katzen und oft „letzte Hilfe“, wenn das Verhältnis zwischen Katze und Mensch nachhaltig gestört ist. Im großen PETBOOK-Interview erklärt die Tierpsychologin, was wir im Zusammenleben mit unseren Katzen oft falsch machen und wie wir Missverständnisse in der Kommunikation vermeiden können.

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Die meisten lieben ihre Katzen, aber mit manchen Verhaltensweisen können die Tiere auch schon mal nerven. Umgekehrt mögen unsere Katzen bestimmte Unarten von uns Menschen so gar nicht. Carmen Schell aus dem südhessischen Dieburg kennt sie fast alle. Oft wird die Expertin für Katzenverhalten und Buchautorin als „letzte Hilfe“ hinzugerufen, wenn das Verhältnis zwischen Katze und Mensch nachhaltig gestört ist. Bei ihren Hausbesuchen in Wohnungen und Tierheimen kommt sie daher immer wieder mit Menschen und Katzen zusammen, die schlichtweg aneinander vorbeikommunizieren. Im Gespräch mit PETBOOK erläutert Carmen Schell, was der Mensch tun kann, um Missverständnisse in der Kommunikation mit den Tieren zu vermeiden und was Katzen zufrieden und glücklich macht.

„Katzen sind keinesfalls Einzelgänger, die Menschen lediglich als ‚Dosenöffner‘ akzeptieren“

PETBOOK: Frau Schell, es heißt ja oft, Katzen würden sich nicht so sehr an Menschen binden wie Hunde, seien daher pflegeleichter und auch anspruchsloser. Stimmt das?
Carmen Schell: „Hat der Mensch keine Zeit oder Lust für ausgiebige Spaziergänge und Trainingseinheiten mit dem Hund, ist der Weg zur vermeintlich stets anpassungsfähigen Katze oft nicht weit. Schließlich gelten die Tiere ebenfalls als schmusebedürftig, haben weiches Fell und sind kleine Persönlichkeiten, aber müssen nicht mindestens dreimal täglich vor die Tür und seien eher einzelgängerisch veranlagt. Auf den ersten Blick wirkt die Katze daher auf nicht wenige Menschen wie eine anspruchslosere und einfacher zu haltende Version des Hundes. Doch auch eine Katze braucht weit mehr als ein Dach über dem Kopf, zwei Mahlzeiten am Tag und einen warmen Schoß zum Kuscheln.“

Nämlich?
„Katzen sind keinesfalls Einzelgänger, die Menschen lediglich als ‚Dosenöffner‘ akzeptieren. Eine Katze benötigt sehr wohl die Interaktion mit ihren Menschen, nicht nur der Hund. Dabei sollten Halter die individuelle Persönlichkeit ihres Tiers berücksichtigen. Manche sind eher zurückhaltend und ruhiger, andere neugieriger und verspielter. Halter sollten auf ihr Tier achten, herausfinden, was es mag und sich dementsprechend mit ihm beschäftigen. Beim Spiel mit der Katze geht es vor allem darum, diese zu beschäftigen und ihr Abwechslung zu bereiten. Daher sollte nicht nur gespielt werden, wenn und was die Halter möchten. Zudem stellt eine Katze natürlich auch spezielle Ansprüche an ihre Umgebung, ihre Ernährung und die Kommunikation zwischen Mensch und Tier.“

Carmen Schell: »Katzen werden noch immer als eine Art kleine Hunde missverstanden

Worauf sollten Halter in Bezug auf Katzenverhalten denn unbedingt achten?
„Zunächst sollten katzenspezifische Grundbedürfnisse erfüllt sein. Das fängt schon bei der richtigen Ernährung an. Mitunter werden Katzen noch immer als eine Art ‚kleine Hunde‘ missverstanden und erhalten daher nur zwei oder drei Mahlzeiten am Tag. Dabei sind die solitären Jäger kleine ‚Snackfresser‘. Sie jagen in der Natur zahlreiche kleine Beutetiere und ruhen sich zwischen zwei Jagdeinheiten gern an einem erhöhten und warmen Plätzchen aus. Idealerweise knuspern sie alle vier bis sechs Stunden eine kleine Mahlzeit – und zwar auch in der Nacht, während wir schlafen oder tagsüber unseren Alltag bewältigen. Da wir unsere Katzen dann aber nicht immer füttern können, können etwa programmierbare Futterautomaten und verschiedene Futterspiele helfen, die Zeit zu überbrücken. Und: Neben verschiedenen Schlaf- und Kuschelplätzen benötigen auch Katzen die Interaktion mit uns Menschen, um glücklich zu sein.

Was bedeutet das konkret?
„Für Halter heißt das, sich aktiv mit ihrem Tier zu beschäftigen und nicht nur die gemütlichen Kuschelstunden zu genießen. Katzen, die ja von Natur aus Jäger sind, schätzen kurze und interaktive Spieleinheiten, in denen etwa ein Federpuschel zur ängstlich zitternden Maus wird. Längere Hetzjagden dagegen mögen Katzen eher nicht. Daher sollten Halter mehrere Spieleinheiten am Tag einlegen.“

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Die Welt aus Katzensicht betrachten

Kann und sollte man Katzen erziehen, um sie an uns und unsere Wohnungen zu gewöhnen?
„Katzen sind Individualisten, und das ist es ja auch, was Halter an den Tieren schätzen. Von einer Katze etwas Bestimmtes zu verlangen und ihr im Gegenzug kein unwiderstehliches Angebot zu unterbreiten, ist daher so vielversprechend, wie einem Stein das Tanzen beizubringen. Statt also von ihr zu erwarten, sie würde sich unseren Vorstellungen anpassen, lohnt es sich, ihre Bedürfnisse zu hinterfragen und umzusetzen. Daher wäre es besser, unser Umfeld aus den Augen der Katze zu betrachten. Das Vertrauen einer Katze zu gewinnen, ist ein tolles Geschenk, denn die Tiere ordnen sich uns nicht einfach unter. Vielmehr entscheiden sie selbst, wem sie vertrauen und ihre Zuneigung geben. Je mehr wir ihre Persönlichkeit erkennen und berücksichtigen, desto tiefer wird auch unsere Beziehung zu den Tieren.“  

Sind Erziehungsversuche also für ‚die Katz‘?
„Katzen legen unerwünschtes Verhalten nur ab, wenn sie eine aus Katzensicht akzeptable Alternative aufgezeigt bekommen. Strafen bringen dabei nichts, sind in der Regel sogar kontraproduktiv. Leider wird mitunter immer noch dazu geraten, Katzen auf unangenehme Weise zu zeigen, was sie nicht tun sollten. Hierzu zählen der ‚Klapps‘ auf den Po ebenso wie das Eintauchen in eine Urinpfütze oder leider auch die unter vermeintlichen Experten verharmloste Wasserspritze. All diese Maßnahmen sind Strafmaßnahmen, die nicht nur ihren Zweck verfehlen, sondern auch die Beziehung zum Menschen verschlechtern.

Die Katze lernt höchstens, dass sie das Verhalten, das wir abstellen möchten, nicht in unserer Anwesenheit zeigen sollte. Oft verschlimmern diese Maßnahmen ein zunächst kleines Problem sogar noch, da die Katze etwa versuchen wird, ob sie an einem anderen Ort unbemerkt eine Pfütze hinterlassen kann – weil ihre Toilette vielleicht aus ihrer Sicht absolut unmöglich zu benutzen ist.“

Katzen, die ihren Jagdtrieb nicht ausleben dürfen, verkümmern

Wie vermeidet man Missverständnisse in Bezug auf das Zusammenleben zwischen Mensch und Tier?
„Ein großer, aber vermeidbarer Fehler ist es, Katzen nach menschlichen Maßstäben zu beurteilen. Die meisten Probleme zwischen Katze und Mensch aber beruhen genau darauf.  Wir Menschen berücksichtigen die Sicht der Katze zu wenig oder gar nicht. So kommt es zwangsläufig zu Missverständnissen. Die Katze, die ausschließlich auf dem Schoß ihres Menschen gekuschelt wird, aber ihren vorhandenen Jagdtrieb nicht ausleben darf, sucht sich eine eigene Beschäftigung oder verkümmert frustriert an unserer Seite. Die Tapeten zerfetzende Katze kennzeichnet aus ihrer Sicht ihr Revier, teilt vermeintlichen Rivalen ihre Eigentumsverhältnisse mit und baut Stress ab. Hat sie keine katzengerechte Alternative zur Verfügung, weicht sie auf die für sie einfachste oder attraktivste Variante aus.

Daher sollten Katzenhalter die Welt aus Katzensicht betrachten und ihr Verhalten danach beurteilen. Dadurch lassen sich dann auch passende Lösungen für das hinter dem ‚Problem‘ stehende Bedürfnis finden, etwa ein geschickt platzierter Kratzstamm anstelle der zerfledderten Tapete.“

Auf die individuellen Bedürfnisse achten

Welche Probleme kann man schon von Anfang an vermeiden?
„Schon bevor man sich eine Katze anschafft, sollte man sich mit den Eigenschaften des Wunschtiers befassen. Zu einer Katze gehört zum Beispiel nicht nur die Optik. Auch Vorgeschichte und Persönlichkeit des Tiers beeinflussen das Zusammenleben mit uns und machen es zu einem entspannten Miteinander oder zum Chaos. Oft jedoch halten Menschen lediglich nach einer bestimmten Rasse Ausschau oder wollen eine in Not geratene Katze ‚retten‘. Das allerdings führt oft zu Frust bei Mensch und Tier, weil Wunsch und Realität nicht zusammenpassen.“

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Carmen Schell: „Katzen wollen mit dem Menschen gemeinsam spannende Dinge erleben“

Welche Rassen sind denn gerade besonders beliebt?
„Bengalkatzen etwa sind derzeit groß in Mode. Oft jedoch fristen diese überaus intelligenten und aktiven Tiere ein unglaublich langweiliges Dasein in Wohnungen. Das ist selbst dann der Fall, wenn sie ein eigenes Katzenzimmer mit allem haben, was sie vermeintlich aus Menschensicht brauchen. Denn ihr Lebensmittelpunkt ist eher das Wohnzimmer, die Küche oder ein anderer Raum, in dem die Katze mit ihrem Menschen gemeinsam spannende Dinge erleben möchte.

Die gerettete Katze dagegen kommt vielleicht mit einer schlimmen Vorgeschichte zu ihren neuen Haltern. Dann ist sie auch dort nicht gut aufgehoben, wenn der Mensch sich nicht mit ihren speziellen Bedürfnissen, die sich aus ihrer Vergangenheit ergeben, auseinandersetzt. Sie wechselt vielmehr vom Regen in die Traufe.“

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