
26. Mai 2025, 15:08 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Wann und warum wurden Katzen domestiziert – und wer brachte sie nach Europa? Zwei Studien stellen bisherige Annahmen auf den Kopf. Statt sich bloß als Mäusejäger nützlich zu machen, könnten Katzen durch göttliche Verehrung ihren Weg an unsere Seite gefunden haben. Und: Sie kamen deutlich früher nach Europa als bislang gedacht, was eine grimmige Theorie über den Verbleib der Europäischen Wildkatze nach sich zieht.
Die Hauskatze ist schon fast so lange wie der Hund eine geliebte Mitbewohnerin. Doch ihre Geschichte – zumindest in Europa – ist keineswegs so alt wie oft gedacht. Zwei Studien mit genetischen Daten aus über 10.000 Jahren zeigen: Die Katze kam nicht mit den ersten Bauern, sondern erst Jahrtausende später. Überraschender noch: Wilde Katzen waren schon vor der Domestizierung da – aber ganz und gar nicht als frühe Haustiere.
Was geschah mit Katzen vor der Domestizierung?
Bislang gehen führende Evolutionsbiologen davon aus, dass Katzen in der Levante und dem „fruchtbaren Halbmond“, einem historischen Gebiet im Nahen Osten, zuerst zum Menschen gefunden haben. „Das älteste Zeugnis über das Zusammenleben von Katzen und Menschen ist rund 9500 Jahre alt und stammt aus zwei Gräbern auf der Insel Zypern“, schreibt beispielsweise Professor Jonathan B. Losos in seinem Buch: „Von der Savanne aufs Sofa – Eine Evolutionsgeschichte der Katze“.
Er schreibt weiter, dass die meisten Forscher den Zustand vor der Domestizierung der Katze ganz ähnlich beschreiben. Mit der Sesshaftwerdung des Menschen und dem Beginn von Ackerbau trat auch die Afrikanische Wildkatze verstärkt auf. In der Nähe von Menschen gab es weniger Fressfeinde, dafür aber genug Nahrung in Form von Getreidefressern und Nagetieren.
Über die Zeit profitierten also die dem Menschen am freundlichsten gestimmten Tiere und die Domestizierung nahm ihren Lauf. „Die natürliche Selektion förderte vermutlich die Evolution jener Katzen, die keine Furcht vor Menschen hatten und es verlockend fanden, unter uns zu leben“, so Losos in seinem Buch weiter. Doch zwei unabhängig voneinander durchgeführte Studien widersprechen diesem schlüssigen Bild. Sie haben die Geschichte der Domestikation und Verbreitung der Hauskatze grundlegend neu beleuchtet – vor allem, was Europa betrifft.
Beide Forschungsarbeiten stimmen darin überein, dass Hauskatzen nicht bereits in der Jungsteinzeit mit den ersten Ackerbauern nach Europa kamen. Beide kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen, sprechen aber von einem deutlich späteren Zeitpunkt. Etwa im 1. Jahrtausend vor unserer Zeit. Die Interpretationen darüber, wie, wann und warum diese Ausbreitung erfolgte, unterscheiden sich teils erheblich. Beide erschienen auf „BioRvix“ – wurden also noch nicht von unabhängigen Wissenschaftlern bestätigt.
Wer brachte die Hauskatze nach Europa – und wenn ja, wie oft?
Die erste Studie, unter der Leitung von Sean Doherty von der Universität Exeter, setzt einen klaren Fokus auf die kulturelle und insbesondere religiöse Bedeutung der Katze im alten Ägypten. Auf Basis von über 2400 Knochenvermessungen, genetischen Analysen von 350 Katzenfossilien sowie 24 neuen Radiokarbondatierungen kommen die Forscher zu dem Schluss, dass die Domestikation der Katze im frühen 1. Jahrtausend vor unserer Zeit stattfand. Also nicht primär aus praktischen Gründen wie der Mäusejagd, sondern im Rahmen des Bastet-Kults.
Die Göttin Bastet, ursprünglich löwengestaltig, wurde in dieser Zeit zunehmend mehr als (Haus-)Katze dargestellt und verehrt. Millionenfach wurden Katzen mumifiziert und als Opfergaben verwendet – ein Hinweis auf eine enge, gezielt kultivierte Mensch-Tier-Beziehung. Von Ägypten aus verbreiteten sich verschiedene genetische Linien, vor allem über Handels- und Pilgerwege, nach Europa. Die Studie identifiziert dabei fünf Einführungswellen nach Europa:
- vor-römisch (vor 753 v. u. Z),
- römisch (etwa 500 v.u.Z bis 380 u.Z.),
- spätantik (bis 500 u.Z.),
- frühmittelalterlich-christlich (ab 500 u.Z) und
- wikingerzeitlich (ab 753 u.Z.).
Auffällig ist, dass genetisch nachweisbare Hauskatzen bereits im 4. bis 2. Jahrhundert vor unserer Zeit in Südengland auftauchen – also deutlich vor der römischen Invasion der britischen Inseln. Die Forscher deuten diese frühen Funde als bewusste Einführung durch religiös geprägte Mobilität.
Parallel dazu sei die Europäische Wildkatze zunehmend verdrängt worden – durch Konkurrenz und genetische Vermischung mit Hauskatzen. Der interdisziplinäre Ansatz, der genetische, archäologische und morphologische Daten kombiniert, erlaubt eine neue, stark kulturgeschichtlich geprägte Sichtweise auf die Domestikation der Katze. 1
Zweite Studie sieht Rom als Bringer der Hauskatze in Europa
Ganz anders interpretiert die zweite Studie unter der Leitung von Claudio Ottoni von der Universität Rom Tor Vergata die Datenlage. Sie basiert auf einer paläogenomischen Analyse zur Geschichte der Hauskatze, die sich auf Fundorte in Europa stützt. Hier wurden 225 Katzenüberreste aus 97 Fundorten untersucht. Darunter 70 antike und 17 moderne Genome sowie 37 direkt radiokarbondatierte Proben.
Ziel war es, mithilfe moderner Populationsgenetik die Herkunft, Verbreitungswege und zeitlichen Abläufe der Domestikation zu rekonstruieren. Das Ergebnis: Hauskatzen mit eindeutigem Felis-catus-Profil kamen auch laut dieser Analyse nicht mit neolithischen Bauern. Stattdessen identifizierten die Forscher den Zeitraum vom 1. Jahrhundert u.Z. als erste, flächendeckende Ausbreitung. Dies würde der Zeit des Römischen Kaiserreiches und der Besetzung Ägyptens entsprechen.
Zwar zeigen einige Funde auf Sardinien bereits im 2. Jahrhundert v.u.Z. Spuren nordafrikanischer Wildkatzen. Diese wurden vermutlich durch phönizische oder punische Seefahrer, die Station in Karthago machten, dorthin gebracht. Hierbei handelte es sich aber nicht um domestizierte Tiere, sondern um eine genetisch separate Linie, die bis heute auf Sardinien isoliert blieb. Die Studie argumentiert, dass frühere Hinweise auf Hauskatzen in jungsteinzeitlichen Siedlungen auf Fehlinterpretationen zurückzuführen sind. Oft handelte es sich um Wildkatzen mit abweichender DNA, die fälschlich als domestiziert gewertet worden seien.
Dass die Römer Katzen schätzten, war bereits bekannt. Doch scheinbar haben sie durch ihre Handels- und Militärstrukturen aktiv dazu beigetragen, sie in Europa zu verbreiten. Möglicherweise mit praktischer Motivation, eventuell auch mit religiösem Hintergrund. Der genetische Fokus der Studie erlaubt eine präzisere Trennung zwischen Wild- und Hauskatzen als frühere Arbeiten, die sich vor allem auf Knochenformen und Einzelgene stützten. 2
Haben Menschen in Europa Katzen gegessen?
Marco de Martino, Paläogenetiker an der Universität Rom Tor Vergata, der an beiden Studien beteiligt war, hat jedoch eine Theorie über Katzen in Europa aufgestellt, die vielen Katzenfreunden wohl skandalös vorkommen wird. Auf eine Anfrage des Wissenschaftsmagazins „LiveScience“ sagte er: „Wir haben erfolgreich die Kerngenome mehrerer neolithischer Katzen aus Anatolien und Südosteuropa rekonstruiert und nachgewiesen, dass es sich bei diesen Katzen um Europäische Wildkatzen handelt.“
Also gab es in Europa in der Jungsteinzeit doch Katzen! Allerdings eher die Europäische Wildkatze, die wohl ein anderes Schicksal erlitt als ihre afrikanische Verwandte. Laut der Auffassung von de Martino waren sie nämlich keine Haustiere. „Sie wurden wahrscheinlich für Nahrung, Felle oder rituelle Praktiken ausgebeutet“, sagt er.
In der Studie von Doherty und Kollegen ist dies etwas vorsichtiger formuliert. Die Forscher fanden jedoch ebenfalls klare Beweise dafür, dass die Europäische Wildkatze schon unter der Einführung der domestizierten Katze litt, bevor sie im 19. Jahrhundert an den Rand des Aussterbens gebracht wurde.
Vor der Domestizierung der Katze wurde die Wildkatze verdrängt
„Der Mensch hat die Wildkatzenpopulationen seit Jahrtausenden beeinflusst. In einigen Fällen haben sie die Ausdehnung des Verbreitungsgebiets durch die absichtliche Ansiedlung von Wildkatzen auf Inseln erleichtert, wie dies offenbar im jungsteinzeitlichen Zypern und im vorrömischen Sardinien der Fall war“, schreiben die Forscher in ihrer Untersuchung.
Häufiger habe der Mensch jedoch die Verkleinerung des Verbreitungsgebiets durch Überjagung oder Umweltzerstörung herbeigeführt. „Die negativen Auswirkungen von Hauskatzen auf die Wildkatzenpopulationen sind heute anerkannt, und unsere Studie deutet darauf hin, dass diese Konkurrenz zeitlich weiter zurückreicht als bisher angenommen.“
Im Vergleich ergibt sich also ein Bild mit vielen Schnittmengen, aber auch einigen deutlichen Unterschieden. Beide Studien lehnen die Theorie einer jungsteinzeitlichen Domestikation ab. Sie bestätigen aber die „Out-of-Egypt“-Hypothese für die massenhafte, religiös motivierte Verbreitung aus der Ursprungsregion der Hauskatze. Und leider auch die Bejagung oder zumindest die Zerstörung des Lebensraums der scheueren Europäischen Wildkatze.

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Während die Exeter-Studie jedoch fünf zeitlich differenzierte Einführungswellen beschreibt, identifiziert die Rom-Studie nur zwei zentrale Migrationsereignisse. Darunter eben die frühe nicht domestizierte Wildkatzenlinie auf Sardinien und die spätere Hauskatzenlinie auf dem europäischen Festland.
Am Ende führen beide Studien zu einer Neubewertung der Domestikationsgeschichte der Katze. Ob die endgültige Antwort aus der Wüste oder vom Mittelmeer kommt, bleibt vorerst offen.
Unklar ist auch, ob die plausible These des Ursprungs in der Jungsteinzeit wirklich im Widerspruch zu diesen Daten steht. Denn fossile Funde aus Mesopotamien oder dem Gebiet zwischen Euphrat und Tigris wurden bei diesen Studien nicht berücksichtigt. Die Geschichte der Katze an der Seite des Menschen ist aber wohl komplexer, widersprüchlicher und faszinierender als je zuvor gedacht.