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PETBOOK-Interview

Hundetrainer: »Tierschutzhunde sind kein Dankbarkeitsprojekt!

Sind Tierschutzhunde wirklich die dankbareren Hunde? Hundetrainer Simeon Faller hat dazu eine klare Meinung.
Sind Tierschutzhunde wirklich die dankbareren Hunde? Hundetrainer Simeon Faller hat dazu eine klare Meinung. Foto: Getty Images & Aram Thiel
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Dennis Agyemang
Redakteur

14. Juli 2025, 6:58 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten

Sind Hunde aus dem Tierschutz wirklich die dankbareren Hunde? Das ist zumindest ein Glaube, der bei vielen herrscht. Hundetrainer Simeon Faller aus München hat dazu eine klare Meinung: Er hält diese Vorstellung von Dankbarkeit sogar für gefährlich, da sie für Missverständnisse und unrealistische Erwartungen sorgt.

Vor etwas mehr als zwei Monaten habe ich mit Paco einen Hund aus dem Rumänischen Tierschutz adoptiert. Und auch mein vorheriger Hund Splash stammt aus dem Tierschutz. Auch wenn die beiden optisch wie charakterlich nicht unterschiedlicher sein könnten, so scheinen die Menschen beiden ihre Herkunft anzusehen. Daher bekomme ich auf Gassirunden regelmäßig Sätze wie: „Ja, Hunde aus dem Tierschutz sind einfach so dankbar“ zu hören.

Doch ist das wirklich so? Denn ich habe nicht den Eindruck – und ich habe auch keinen Tierschutzhund adoptiert, um von ihm Dankbarkeit dafür zu empfangen. Hundetrainer Simeon Faller aus München trainiert viele Hunde aus dem Tierschutz und findet, die Vorstellung, dass adoptierte Hunde besonders dankbar sind, nicht nur unrealistisch, sondern auch gefährlich.

„Das Konzept der Dankbarkeit existiert nicht bei Hunden“

PETBOOK: Simeon, was sagst du als Hundetrainer: Sind Tierschutzhunde tatsächlich dankbarer?
Simeon Faller: „Nein, grundsätzlich existiert dieses Konzept der Dankbarkeit bei Hunden so nicht. Hunde haben nicht dieselben moralischen Grundsätze wie wir Menschen. Wenn ein Hund zum Beispiel aus einem rumänischen Zwinger nach München in eine Zweizimmerwohnung kommt, dann wird er aus seiner gewohnten Umgebung gerissen und in eine völlig neue Welt gesetzt. Er versteht erst mal gar nicht, was passiert. Seine Hundefreunde, sein bekanntes Umfeld – all das ist weg. Die Menschen denken, sie hätten ihn ‚gerettet‘, aber für den Hund dauert es mindestens drei Monate, bis er überhaupt versteht, dass er jetzt ein neues Zuhause hat.“

Woher kommt denn der Eindruck?
„Es gibt zwar Hunde, die sehr anhänglich wirken – das kann daran liegen, dass sie gute Erfahrungen mit Menschen gemacht haben. Das wird oft fälschlich als Dankbarkeit interpretiert. Aber eine tatsächliche Dankbarkeit im menschlichen Sinne? Eher nicht. Vielleicht für das Futter im Moment – aber nicht für die Rettung an sich.“

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Ich glaube, viele denken auch: „Oh mein Gott, der arme Hund hatte es so schlimm – jetzt hat er ein besseres Leben mit weichem Bett, Essen und ein Zuhause – das muss er doch merken!“
„Das muss man immer von Fall zu Fall betrachten. Viele Menschen gehen automatisch davon aus, dass ein Hund aus dem Tierschutz ein schweres Leben hatte. Viele Hunde wurden bei Bauern geboren und lebten dort die ersten Wochen bei der Mutter. Dann wurden sie ausgesetzt – häufig in der Hoffnung, dass der Tierschutz sie einsammelt. Andere Hunde lebten auf der Straße, hatten dort eine Art soziales Umfeld. Für sie ist das ‚Gerettetwerden‘ ein Schock, keine Erlösung. Sie verlieren Vertrautes, ihre Freiheit, ihre Meute. Und plötzlich gibt es Leine, Halsband und neue Regeln.“

„Viele Hunde haben nicht unbedingt Schlimmes erlebt, sondern einfach nichts erlebt“

Welche Missverständnisse siehst du als Hundetrainer häufig bei Haltern, insbesondere bei Tierschutzhunden?
„Das größte Missverständnis ist, dass der Hund sofort funktionieren muss. Er soll am besten direkt ruhig vor dem Kamin liegen, spielen, kuscheln – einfach ein ‚fertiger‘ Hund sein. Aber viele dieser Hunde haben ihre Welpen- und Jugendphasen gar nicht richtig erlebt. Wenn ein Hund zum Beispiel mit acht Wochen in einen Zwinger kam und dann mit acht Monaten adoptiert wird – dann kennt er nichts anderes.

Viele Hunde haben nicht unbedingt Schlimmes erlebt, sondern einfach nichts erlebt. Sie kennen kein Spiel, keine Umweltreize, keine Bindung zum Menschen. Sie sind erst mal überfordert und ängstlich. Doch viele erwarten sofort Liebe und Nähe – wenn das nicht kommt, heißt es oft nach wenigen Stunden: ‚Der Hund muss wieder weg.‘“

Was sagst du den Menschen, die Dankbarkeit von ihrem Hund erwarten?
„Sie sollten das Konzept von Dankbarkeit weglassen. Das ist eine klare Vermenschlichung und führt leider oft zu Frust und sogar Bestrafung – wie etwa Liebesentzug oder Couchverbot. Ein Hund versteht das nicht. Er kann keine moralischen Verknüpfungen wie ‚Ich bin undankbar, weil ich X gemacht habe‘ herstellen. Die Verantwortung liegt beim Menschen, nicht beim Tier. Der Mensch muss sich das Vertrauen des Hundes erarbeiten – nicht andersherum. Der Hund darf kommen – aber man darf nicht erwarten, dass das sofort passiert. Wenn er wochenlang in der Ecke sitzt, dann ist das sein Rückzugsort, sein Safe Space.“

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„Ich habe selbst zwei Hunde aus Rumänien adoptiert – beide waren ganz anders, als sie beschrieben wurden“

Viele deiner Klienten kommen mit Tierschutzhunden zu dir. Was sind da so deine Erfahrungen, die du machst?
„Ja, das ist meine Hauptzielgruppe. Ich habe selbst zwei Hunde aus Rumänien adoptiert – beide waren ganz anders, als sie beschrieben wurden. Nicht aus böser Absicht – die Tierschützer arbeiten am Limit. Sie beurteilen Hunde auf Basis von Momentaufnahmen. Zum Beispiel hieß es: ‚Verträgt sich mit Katzen‘ – das stimmte bei meiner Hündin Jessie überhaupt nicht. Oder: ‚Sehr anhänglich‘ – aber im neuen Zuhause war erst einmal nichts davon zu sehen. Das sorgt für Enttäuschung bei den Haltern – ist aber nachvollziehbar. Beziehungen brauchen Zeit und das vergessen viele.“

Stichwort Beziehungen: Was kann man tun, um eine Beziehung aufzubauen – gerade wenn der Hund aus dem Auslandstierschutz kommt und plötzlich in einer Zweizimmerwohnung landet?
„Erstmal: nichts. Wasser, Futter hinstellen – und in Ruhe lassen. Der Hund braucht Zeit, um anzukommen. Setz dich irgendwo hin und beobachte. Kein Streicheln, kein Kuscheln erzwingen. Druck erzeugt Gegendruck – das ist wie in einer Prüfung, bei der der der Lehrer über die Schulter schaut. Drei Tage absolute Ruhe wären ideal. Keine großen Spaziergänge – lieber zehn Minuten ums Haus, schnüffeln lassen, Umgebung erkunden. Der Hund bestimmt das Tempo. Vertrauen muss wachsen, nicht gefordert werden.“

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„Der Hund sollte gelegentlich auch mal eigene Entscheidungen treffen dürfen“

Wie können Menschen, die ihren Hund schon seit zwei bis sechs Monaten haben, die Beziehung weiter festigen?
„Ganz wichtig: Höflichkeit gegenüber dem Hund. Der Hund sollte gelegentlich auch mal eigene Entscheidungen treffen dürfen – z. B. den Weg beim Spaziergang bestimmen. Das stärkt nämlich auch sein Selbstbewusstsein. Allgemein ist Körperkontakt wertvoll, aber nur, wenn er vom Hund gewollt ist. Viele machen den Fehler, sich dem Hund aufzudrängen, wenn dieser ruht oder schlafen möchte – das zerstört Vertrauen. Ebenso draußen: Wenn der Hund einem anderen Hund ausweichen will – lasst ihn. Drängt ihn nicht in die Situation. So entsteht Vertrauen.“

Viele Tierschutzhunde leiden unter Trennungsangst. Warum?
„Das liegt oft an frühen Entbehrungen: Zu frühes Trennen von der Mutter, häufiges Weiterreichen, Tierheim, Pflegefamilien – das macht was mit dem Hund. Viele lernen nie, dass Menschen verlässlich zurückkommen. Manche Hunde können das Alleinsein nie ganz erlernen – bei anderen geht es mit Training. Anfangen sollte man damit, dass der Hund in der Wohnung lernt, in einem Raum zu bleiben, wenn man ihn verlässt. Kleine Schritte, kein

Was ist dein wichtigster Rat für Tierschutzhund-Halter?
„Ich stelle häufig fest, dass Menschen im Umgang mit ihren Hunden sehr schnell verunsichert sind, weil sie sich beispielsweise nicht sicher sind, ob sie als Halter genügen. Daher mein Tipp: Holt euch nicht zu viele Informationen, sodass sie euch über den Kopf wachsen. Schaltet auch mal den Kopf aus und das Herz ein. Beobachtet euren Hund einfach, dann wird das meist auch schon. Man wächst nämlich irgendwann zusammen und entwickelt eine eigene Sprache, die nur ihr beide versteht.“

Themen Hundeverhalten Interview

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