
27. Juni 2025, 6:28 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Allein zu Hause bleiben zu müssen, ist für viele Hunde zunächst ungewohnt oder sogar beängstigend. Gerade junge oder unsichere Hunde entwickeln schnell Trennungsangst – äußern sich durch Bellen, Jaulen oder sogar zerstörerisches Verhalten. Gerade für alleinstehende Halter kann es zur Belastung werden, wie PETBOOK-Redakteur Dennis Agyemang aus eigener Erfahrung weiß.
Vor wenigen Wochen habe ich mit Paco meinen ersten eigenen Hund adoptiert. Er stammt aus dem Auslandstierschutz und kennt daher noch nicht sehr viel: Weder das Leben in der Großstadt, noch die Geräusche dort, doch er schlägt sich tapfer. Nur das Alleinbleiben kennt er noch nicht. Daher muss ich meinen Alltag momentan gut organisieren. So muss immer jemand da sein, der auf ihn aufpasst, wenn ich einkaufen muss oder zum Arzt will. Denn Alleinbleiben geht noch nicht.
Wenn man nicht mal den Müll herunterbringen kann, ohne dass Hund das Haus zusammenbellt
Daher ist auch das Müllherunterbringen zur echten Herausforderung geworden – und für die Nachbarn sicher ein Anblick für die Götter –, wenn ich mit meinen Müllsäcken beladen in Rekordgeschwindigkeit durch das Treppenhaus und den Gemeinschaftsgarten renne, bevor Paco das ganze Haus zusammenbellt. Denn er ist ganz schön laut und meine Nachbarn lärmempfindlich. Kurzum: So kann es auf Dauer nicht weitergehen.
Doch die gute Nachricht: Mit einem schrittweisen Training, Geduld und der richtigen Vorbereitung kann jeder Hund lernen, ruhig und entspannt allein zu bleiben. Das höre ich jedenfalls von diversen Hundetrainern im Internet. Entscheidend sei, dass der Hund in kleinen Etappen Vertrauen fasst und versteht: „Alleinsein bedeutet nichts Schlimmes – mein Mensch kommt immer wieder.“
Darum leiden viele Hunde anfangs beim Alleinbleiben
Doch warum ist Alleinbleiben für die meisten Hunde – zumindest anfangs – so eine große Sache? „Hunde haben ein starkes Bedürfnis nach Bindung. Sobald sie Vertrauen gefasst haben, wollen sie bei ihrem Sozialpartner bleiben – und zwar dauerhaft“, erklärt mir Hundepsychologe Marc Ebersbach. Hunde empfänden die Abwesenheit ihrer Halter nicht als temporär, sondern als Kontrollverlust. „In der Natur gibt es keine Situation, in der ein Rudelmitglied einfach verschwindet und die anderen zurückbleiben müssen. Im Gegenteil: Hunde folgen, wenn sie Nähe brauchen.“
„Der Hund ist akustisch und visuell isoliert“
Als Hundepsychologe höre er oft den Vergleich zu früher, wo es für Hunde ja auch kein Ding gewesen sei, allein zu bleiben. „Der oft zitierte Vergleich mit dem Bauernhof greift zu kurz: Dort ist der Hund zwar auch mal allein, aber nie ohne Reize. Er hört Kühe, Traktoren, Menschen. Er ist mitten im Leben – das beruhigt.“ In einer Stadtwohnung hingegen sei das aber meist nicht der Fall, erklärt der Hundepsychologe. „Türen und Fenster sind geschlossen, der Hund ist akustisch und visuell isoliert. Keine Reize, keine Orientierung – er empfindet die Abwesenheit nicht als temporär, sondern als Kontrollverlust.“ Für den Hund meist ein großer Schock.
„Das Ergebnis: Der Hund hat Stress, oft Panik – und im Stress kann er nicht lernen. Wenn ich dann nach fünf Minuten zurückkomme, kann er das Erlebnis nicht als positive Erfahrung abspeichern. Das ist der Kern der Problematik.“ Doch einfach Geräusche gegen die Stille in der Wohnung abzuspielen, sei kein Allheilmittel, erklärt mir Hundetrainerin Katharina Marioth.
„Für Hunde ist Alleinsein an sich unnatürlich“
„Natürlich ist es sinnvoll, die Wohnung nicht völlig ‚totzumachen‘ – also Fenster offen lassen, Radiosender mit leiser Musik oder das TV-Geräusch an – Hauptsache, es gibt irgendeine Art von Reiz. Denn für Hunde ist Alleinsein an sich unnatürlich.“ Denn die Geruchskonzentration falle innerhalb der ersten 30 Minuten nach dem Verlassen der Bezugsperson besonders stark ab. „Das ist der entscheidende Moment. In dieser Phase entscheidet sich oft, ob der Hund sich entspannt oder in Panik verfällt“, so Marioth.
Viele machten den Fehler, direkt das Alleinbleiben zu trainieren, sagt Marc Ebersbach. „Aber das geht nicht – der Hund muss zuerst lernen, dass räumliche Trennung nichts Negatives ist.“ Daher arbeitet er mit einem strukturierten ‚Bleib‘-Training. „Der Hund lernt zunächst, auf einem definierten Platz zu bleiben, während ich mich – sichtbar – entferne. Erst räumlich, dann zeitlich. Dabei arbeite ich stark mit Körpersprache: Hand nach vorn, klare Signale, wiederholte Bestätigung. So lernt er Schritt für Schritt, Distanz auszuhalten und erlebt die Trennung kontrolliert und stressfrei.“ Nur dann könne der Hund lernen, dass Alleinsein nichts Bedrohliches ist, erklärt der Hundepsychologe.
„Der größte Fehler ist zu glauben, dass es beim Alleinbleiben um Kontrolle geht“
Er habe es durch ein Bleib-Training geschafft, seiner Hündin, die durch die vorherigen Halter traumatisiert war, da diese sie oft stundenlang allein gelassen haben, die Angst zu nehmen. „Mit dem Bleib-Training lernte sie allmählich, sich von mir zu lösen“, so Ebersbach. Entscheidend sei dabei gewesen, dass er über Raum, nicht über Verbot gearbeitet habe. „Ich sagte ihr nicht: ‚Du darfst mir nicht folgen‘, sondern: ‚Dieser Raum gehört jetzt dir – bleib du bitte dort.‘ Das ist ein Unterschied, den Hunde verstehen.“
Wichtig sei es, beim Training behutsam vorzugehen und den Hund nicht zu überfordern, mahnt Katharina Marioth im PETBOOK-Interview. „Der größte Fehler ist zu glauben, dass es beim Alleinbleiben um Kontrolle geht oder darum, den Hund ‚abzuschieben‘. Das ist völliger Quatsch. Es geht um Lernen – und zwar um das Erlernen von Sicherheit in einer völlig unnatürlichen Situation.“ Viele Hundehalter machten den Fehler, einfach schnell die Tür zuzuziehen und den Hund allein zu lassen, ohne ihn vorher mental darauf vorzubereiten, sagt die Hundetrainerin.
Halter müssen Alleinbleiben als Prozess sehen, nicht als einmaliges Kommando
Auch ein Training, das nur auf Kommandos oder Strafe basiere, funktioniert nicht, weiß Marioth. „Denn wenn der Hund in Panik ist, nützt kein ‚Sitz‘ oder ‚Bleib‘. Wir müssen die ersten 30 Minuten trainieren, in denen der Hund seine Orientierung verliert. Wer das ignoriert, verurteilt seinen Hund zum ständigen Stress.“ Das sei kein Zeichen von „schlechtem Gehorsam“, sondern von Überforderung, mahnt die Trainerin.
„Man muss das Alleinbleiben als Prozess sehen, der Schritt für Schritt gelernt werden muss – mit viel Geduld und feiner Beobachtung. Und man darf es nicht als einmaliges Kommando behandeln, sondern als echte Herausforderung für den Hund, die man systematisch mit Reizen und kurzen Abwesenheiten aufbaut.“
Diese 6 Punkte können helfen, den Hund sanft ans Alleinbleiben zu gewöhnen
- Reiz-Entkopplung:
Mehrmals täglich Jacke und Schuhe anziehen, um Erwartungshaltungen zu löschen. Tür öffnen/schließen, ohne zu gehen – das nimmt dem Ritual seine Bedeutung. - Entspannung vor dem Training:
Täglich 5–10 Minuten gezielte Körpermassage am Liegeplatz mit einem Tropfen Lavendelöl. Das löst Oxytocin aus – ein Hormon, das Entspannung fördert. - „Bleib“-Training aufbauen:
Hund mit klarer Körpersprache auf dem Platz halten. Zunächst nur wenige Sekunden entfernen, langsam steigern – aber immer innerhalb der Erfolgsspanne bleiben. - Verstärkung durch Ritual:
Beginn und Ende jeder Übung mit langer Massage. Zwischendurch kurze Berührungen zur Belohnung. Zum Abschluss gibt es einen Kauartikel, um Stress abzubauen. - Beobachtung mit Kamera:
Verlassen Sie die Wohnung erst, wenn Ihr Hund entspannt ist – und kehren Sie zurück, bevor er Stressanzeichen zeigt. Nur so kann er positive Lernerfahrungen abspeichern. - Training abends beginnen:
Starten Sie mit den Übungen abends, wenn der Hund müde ist – das senkt die Erregungsschwelle und erleichtert das Lernen.

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„Das Alleinbleiben ist nicht natürlich, sondern eine menschliche Erfindung“
Wichtig sei dabei immer zu berücksichtigen, dass Alleinbleiben für Hunde nicht natürlich sei, betont Hundetrainerin Katharina Marioth. „Das Alleinbleiben ist eine menschliche Erfindung. Kein Hund ist dafür gemacht, stundenlang allein zu bleiben.“ Deshalb sei die erste halbe Stunde nach dem Verlassen des Menschen die wichtigste Trainingsphase. „In der Zeit ist der Geruch des Menschen am stärksten und der Hund fühlt sich noch ‚verbunden‘“. Hier müsse man positiv arbeiten, z. B. mit speziellen Futterspielzeugen oder beruhigenden Ritualen.
Zudem können regelmäßige Massagen, verknüpft mit Duftankern wie Lavendelöl oder auch die Gabe von CBD-Öl dem Hund beim Entspannen helfen, sagt Hundepsychologe Marc Ebersbach. Wichtig sei bei letzterem, dies vorab mit dem behandelnden Tierarzt zu besprechen. „Wer seinen Hund einfach abschiebt, ohne ihm diese Lernphase zu ermöglichen, darf sich nicht wundern, wenn der Hund durchdreht. Das hat nichts mit Kontrollverlust zu tun, sondern mit einer völlig fehlenden Lernmöglichkeit“, erklärt Katharina Marioth abschließend.