
6. Mai 2025, 14:17 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Tintenfische faszinieren seit jeher durch ihre spektakuläre Fähigkeit zur Tarnung – doch nun zeigen sie eine bislang unbekannte Form der Kommunikation: Wellenbewegungen mit den Armen, die an ein Winken – oder gar einen Tanz erinnern. Kultur- und Sprachwissenschaftlerin Louisa Stoeffler ordnet die Kommunikationssignale der Tiere ein.
Zwei Tintenfischarten, Sepia officinalis und Sepia bandensis – der Gewöhnliche Tintenfisch und die Stumpfhornsepie – senden damit offenbar Botschaften an Artgenossen. Sichtbar durch Winken und über Vibrationen sogar im Wasser spürbar. Forscher konnten nachweisen, dass diese Signale nicht nur gesehen, sondern auch als solche wahrgenommen und verarbeitet werden. Die vier beschriebenen Armsignale gleichen fast einem schnellen Tanz. Ein Durchbruch für das Verständnis tierischer Kommunikation unter Wasser.
Warum Tintenfische YMCA-Tanzsignale winken
Tintenfische gelten als „Chamäleons des Meeres“ – ihre Fähigkeit zur Tarnung durch Hautmuster ist gut dokumentiert. Doch neben visueller Anpassung nutzen sie auch Körperhaltungen zur Kommunikation, etwa zur Abschreckung oder Paarungsanbahnung.
Bislang war jedoch unklar, ob Bewegungen der Arme eine eigenständige Signalform darstellen. Zuvor hatte man bei anderen Kopffüßern und Fischen gesehen, dass das Seitenlinienorgan – eine Art Vibrationssinn – bei der Kommunikation eine Rolle spielen kann. Da Tintenfische über ähnliche Strukturen verfügen, lag die Vermutung nahe, dass auch sie mechanische Signale zur Kommunikation einsetzen könnten.
Die nun vorliegende Studie verfolgt erstmals die Hypothese, dass bestimmte Armbewegungen visuelle und mechanosensorische Kommunikationssignale darstellen könnten. Dass die untersuchten Tintenfischarten mit ihrer Kommunikation aber leicht Tänze aus der Diskozeit, wie zum Beispiel zum Song „YMCA“ der Village People, nachtanzen könnten, überrascht.
Vier verschiedene Armsignale beobachtet – und wiedererkannt
Die beiden Tintenfischarten wurden in monatelangen Beobachtungen überwacht. Dabei wurden vier wiedererkennbare „Arm-Winke-Signale“ identifiziert („Hoch“, „Zur Seite“, „Rollen“, „Krone“). Die Forscher Sophie Cohen-Bodénès und Peter Neri haben ihre Studie am 5. Mai 2025 auf „bioRxiv“ veröffentlicht – die Ergebnisse müssen noch von unabhängigen Forschern bestätigt werden.
Ziel war es, herauszufinden, ob stereotype Wellenbewegungen eine Kommunikationsfunktion bei Tintenfischen haben. Nach der Identifizierung der Signale spielten die Wissenschaftler den Tintenfischen in visuellen Experimenten die Aufnahmen erneut vor. Einmal in korrekter und einmal in auf-den-Kopf-gedrehter Ausrichtung.
In einem zweiten Versuchsaufbau testeten die Forscher, ob die Tiere auch auf Wasserbewegungen reagieren, die durch die Armwellen entstehen. Hierzu wurden mit Hydrofonen aufgenommene Vibrationsmuster per Unterwassersprecher zurückgespielt.
Dazu setzten die Forscher nicht-invasive visuelle und mechanosensorische Experimente ein – und stießen auf erstaunlich eindeutige Reaktionen der Tiere. Alle Experimente wurden streng nach tierethischen Vorgaben durchgeführt, ohne invasive Maßnahmen.
Tintenfische reagieren mit weiteren Veränderungen auf Winken
Die Ergebnisse zeigten deutlich, dass die Tintenfische auf die gezeigten „Arm Wave Signs“ mit eigenen Wellenbewegungen reagierten – insbesondere, wenn sie das Signal in der Originalausrichtung sehen.
In den visuellen Experimenten zeigten Sepia officinalis deutlich mehr Reaktionen bei aufrechter Darstellung im Vergleich zur invertierten. Auch bei Sepia bandensis bestätigte sich dieses Ergebnis. Zudem zeigte sich bei der Wiedergabe per Hydrofon eine bevorzugte Reaktion auf die originalen Vibrationsmuster im Vergleich zu rückwärts oder zufällig veränderten Wellenformen.
Darüber hinaus bestand die Antwort der Tintenfische nicht nur aus Winken, sondern oft auch aus auffälligen Hautmustern, Bewegungen der Augen, Tentakelerweiterung oder sogar Tintenabgabe – typische Verhaltensweisen mit Kommunikationswert.
Studie liefert bahnbrechende Erkenntnisse über Kommunikation unter Wasser
Diese Ergebnisse belegen erstmals, dass bestimmte Bewegungsmuster der Arme multimodale Kommunikationssignale bei Tintenfischen darstellen. Die Signale werden sowohl über das Sehen als auch über das Spüren von Wasserbewegungen wahrgenommen. Damit liefern sie Hinweise auf ein komplexes Kommunikationssystem bei Kopffüßern, vergleichbar mit audiovisuellen Signalen bei Wirbeltieren.
Besonders spannend: Die beteiligten Sinnesorgane – Seitenlinien und Statocysten – zeigen strukturelle und funktionelle Ähnlichkeiten mit Hörorganen von Fischen und anderen Wirbeltieren. Dies deutet auf ein Beispiel konvergenter Evolution hin, bei dem ähnliche Funktionen unabhängig voneinander in verschiedenen Tiergruppen entstanden sind.
Tintenfische kombinierten Zebramuster mit „Nach oben“-Winken
Ob die beiden Tintenfische nun also besonders tanzfreudig sind, oder was ihre Kommunikationssignale wirklich bedeuten, konnten die Forscher in diesen Experimenten bisher nicht ergründen. Es könnte sich dabei um Drohgebärden, Balzverhalten oder Warnsignale handeln – dies ist noch nicht eindeutig geklärt. 1
PETBOOK stellte diese Frage auch Sophie Cohen-Bodénès, die ihre Erfahrungen so einschätzt: „Uns ist aufgefallen, dass die Männchen häufig das Zeichen ‚nach oben‘ mit Zebramuster zeigen, ein sehr bekanntes Körpermuster, das die Männchen bei der Fortpflanzung verwenden.“
Die Forscherin teilte auch eine sehr interessante Beobachtung: „Drei Tintenfische standen mir gegenüber, und zwei von ihnen gaben ein Zeichen. Der in der Mitte drehte sich zu einem von ihnen um und winkte ihr ‚gekrönt‘ zu, was ich als eine Form des Wettbewerbs interpretierte, obwohl dies erst einmal eine qualitative Beobachtung ist.“

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Könnten noch mehr Meerestiere „sprechen“?
Eine Überprüfung der Ergebnisse, wenn sich wirklich zwei Tiere gegenüberstehen und sie nicht auf Videoaufnahmen reagieren, kann dies in Zukunft klären. Auch die Umweltvariablen, denen sich Tintenfische im Meer ausgesetzt sehen, waren bei diesen Tieren, die aus kontrollierter Aufzucht unter Laborbedingungen untersucht wurden, nicht gegeben.
PETBOOK stellte Sophie Cohen-Bodénès auch die Frage, ob die Wellenzeichen von anderen Meerestieren, wie Raubtieren, Beutetieren oder sogar symbiotischen Organismen, erkannt oder nachgeahmt werden können. „Wir glauben in der Tat, dass Tintenfische diese Zeichen verwenden, um ihre Beute anzulocken, denn wir haben ausgiebig beobachtet, wie sie Beutetieren und Räubern (größere Garnelen als Jungtiere) Zeichen geben, insbesondere Kronen- und Rollbewegungen. Wir führen derzeit ein Experiment durch, um diese Hypothese zu testen.“
Doch spielen auch Hautpolarisierungen in Kombination mit Armschwingbewegung eine Rolle, um komplexe Kommunikationssystem bei Tintenfischen zu testen? „Das ist eine faszinierende Frage, und es wäre in der Tat ein großartiges Experiment, das wir durchführen könnten“, sagt Sophie Cohen-Bodénès PETBOOK weiter. „Wir müssten zum Beispiel herausfinden, ob das Licht je nach Armbewegung stärker polarisiert wird.“
Für die Forschung ist es jedoch bereits jetzt ein Meilenstein im Verständnis nicht-vokaler Kommunikation bei Meereslebewesen. Künftig könnten diese Erkenntnisse helfen, die „Sprache“ der Tintenfische besser zu entschlüsseln. Es wäre auch ein spannender Ansatz für die interspezifische Kommunikation im Meer.