
5. Juni 2025, 17:50 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Homosexualität im Tierreich ist nach wie vor ein Tabuthema, über das nicht viel gesprochen wird. Schließlich dienen sexuelle Handlungen bei Tieren in erster Linie der Fortpflanzung – so glaubte man zumindest. Dennoch sind gleichgeschlechtliche Beziehungen im Tierreich normal und gar nicht so selten wie lange angenommen wurde.
Was für viele Menschen schwer vorstellbar ist, kommt im Tierreich recht häufig vor: Homosexualität. Bisher wurde bei mehr als 6000 Tierarten gleichgeschlechtliches Verhalten beobachtet, darunter Vögel, Säugetiere, Reptilien, Fische und Insekten. Bei rund 500 Arten ist dieses Verhalten sogar wissenschaftlich gut dokumentiert.1 Doch was genau ist eigentlich mit Homosexualität und queerem Verhalten bei Tieren gemeint?
Was bedeutet „queeres Verhalten“ bei Tieren genau?
Der Begriff „queeres Verhalten“ umfasst bei Tieren verschiedene Verhaltensweisen wie gleichgeschlechtliche Paarung, Balz, sexuelle Handlungen, das Bilden von lebenslangen gleichgeschlechtlichen Partnerschaften oder das gemeinsame Aufziehen von Nachwuchs. Das letztere geschieht bei einigen Arten sogar regelmäßig und systematisch. Allerdings sollte queeres Verhalten bei Tieren nicht zwangsläufig wie bei Menschen als feste sexuelle Orientierung verstanden werden, sondern eher als beobachtbares Verhalten.
Doch warum kommt es zu queerem Verhalten im Tierreich, wenn hierfür weder romantische Gefühle noch eine sexuelle Identität ausgeprägt sind und auch kein fortpflanzungsmäßiger Vorteil entsteht?
Es gibt bereits seit Längerem mehrere Theorien darüber, weshalb Tiere, die eigentlich Energie in ihre Fortpflanzung stecken, auch sexuelle Kontakte haben, die diesem Zweck nicht dienen. So konnte in einigen Fällen nachgewiesen werden, dass sich viele Arten gar nicht nur zur Vermehrung paaren. In manchen Fällen empfinden sie dabei einfach Spaß und Lust.
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Warum kommt es im Tierreich zu Homosexualität?
Eine weitere Hypothese besagt, dass Tiere homosexuelle Handlungen ausführen, um positive Sozialkontakte zu knüpfen und Beziehungen zu stärken. Dadurch bilden sie Bindungen und Allianzen, die ihnen von Nutzen sein können. Beispielsweise gibt es dokumentierte Fälle von Löwenmännchen, die Sex mit dem Konkurrenten haben, um sich gegenseitige Loyalität zu sichern und einvernehmlich das Rudel zu führen.
Gleichgeschlechtliche Handlungen wurden aber auch in Situationen beobachtet, in denen diese Verhaltensweise eingesetzt wurde, um sich nach Streitigkeiten wieder zu vertragen. Dies ist vor allem bei Tieren beobachtbar, die in Sozialverbänden wie Rudeln, Herden oder Schwärmen leben.2
Demnach stärkt Homosexualität bei Herdentieren nicht nur das soziale Netzwerk, indem sie ihr Futter miteinander teilen und sich um die Jungen kümmern. Ein weiterer möglicher Grund für gleichgeschlechtliches Sexualverhalten bei Tieren ist die Reduzierung von Aggressionen und Konflikten innerhalb eines Geschlechts. Wenn beispielsweise ein Primatenweibchen seinen Nachwuchs vor einer ranghöheren Affendame schützen will, kann es zu sexuellen Handlungen zwischen den beiden kommen, damit sie ihr wohlgesonnen ist.3
Homosexualität ist im Tierreich weiter verbreitet als bislang angenommen
Diese Hypothese besagt auch, dass die Tiere aggressives Verhalten so in Balzverhalten umlenken. Dies könnte dabei helfen, Dominanz anders zu strukturieren und sozialen Status zu kommunizieren, aber auch zu verändern. Es soll vor allem bei Arten auftreten, die eher aggressive oder sogar tödliche Fortpflanzungsmethoden betreiben.
Anders als oft angenommen konnte aber auch nachgewiesen werden, dass homosexuelle Handlungen bei Tieren nicht nur anhand fehlender Optionen oder Fehlprägung in Gefangenschaft entsteht. Denn sie wurden zu 83 Prozent der Fälle in freier Wildbahn dokumentiert. Es handelt sich also nicht um ein künstlich durch Gefangenschaft erzeugtes Verhalten. Sttatdessen ist es für die Tiere mit verschiedenen Vorteilen verbunden.
In Zahlen ausgedrückt waren die häufigsten Formen sexuelle Handlungen und Berührungen (87 Prozent), gefolgt von Balzverhalten (27 Prozent) und langfristigen gleichgeschlechtlichen Partnerschaften (24 Prozent). Männliche und weibliche Homosexualität traten etwa gleich häufig auf.4
Von queeren Bonobos und Pinguinen
So viel zur Theorie. Doch wie sieht es in der Praxis aus? Wissenschaftler beschreiben beispielsweise immer wieder, dass Bonobos sexuelle Handlungen nutzen, um soziale Bindungen zu stärken und Konflikte zu lösen. Gleichgeschlechtliche Aktivitäten sind dabei häufig und dienen dem Gruppenzusammenhalt. 5
Doch queeres Verhalten gibt es nicht nur bei Primaten, sondern auch bei Giraffen. Studien zufolge findet ein erheblicher Teil der sexuellen Interaktionen bei Giraffen zwischen Männchen statt. Dies deutet ebenfalls auf eine soziale Funktion dieser Verhaltensweisen hin.6
Auffällig ist auch, dass Humboldt-Pinguine gemeinsam Eier ausbrüten und Küken aufziehen. Ein bekanntes Beispiel hierfür sind die Pinguine „Z“ und „Vielpunkt“ im Zoo von Bremerhaven, die erfolgreich ein Küken adoptierten und aufzogen. Die beiden Männchen hatten ein Ei, das die eigentlichen Eltern aus dem Nest gestoßen hatten, als ihr eigenes angenommen und abwechselnd ausgebrütet, bis es schlüpfte.7

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Damit sind „Z“ und „Vielpunkt“ in guter Gesellschaft, denn laut diverser wissenschaftlicher Publikationen ist rund jeder fünfte Pinguin homosexuell. Dabei kommen gleichgeschlechtliche Beziehungen bei Männchen häufiger vor als bei Weibchen. Laut den Wissenschaftlern ist es keine Seltenheit, dass die Tiere verlassene Eier adoptieren. Oder gemeinsam auf großen Steinen „brüten”.8 Dabei sind sie wie ihre heterosexuellen Artgenossen monogam und sehr treu.9
Doch Pinguine sind bei weitem nicht die einzigen bei denen homosexuelle Tierpaare Elternaufgaben übernehmen. Demnach berichten Forscher von queeren Flamingos und Störchen, die Eier von Artgenossen gestohlen haben und die Küken als ihre eigenen aufzogen. Ähnliches wurde auch bei Trauerschwänen mehrfach beobachtet. Bei ihnen tun sich laut Experten etwa 20 Prozent der Männchen sich mit einem anderen Männchen zusammen und ziehen gemeinsam Küken groß. Außerdem gibt es Beobachtungen von Möwenmännchen, die gemeinsam Nester bauten und verlassene Jungtiere adoptierten.10
Dass es auch in der Tierwelt mehr als nur die binären Geschlechtervorstellungen von Männchen und Weibchen gibt, beweisen unter anderem Clownfische. Die farbenfrohen Fische sind nämlich sogenannte protandrische Hermaphroditen. Das bedeutet, dass sie beispielsweise als Männchen geboren werden und später zu Weibchen werden können. Dieses queere Verhalten bei den Tieren ist abhängig von der sozialen Struktur ihrer Gruppe.11