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Kurioses Phänomen

Meeresschildkröten werden regelmäßig von diesen Fischen high

Collage aus einer Meeresschildkröte unter Wasser und dem Karibischen Spitznasen Kugelfisch (Canthigaster rostrata)
Meeresschildkröten haben den Karibik-Spitzkopfkugelfisch (Canthigaster rostrata) zum Fressen gern und werden danach regelrecht high vom Gift. Foto: Getty Images
Porträt Saskia Schneider auf dem PETBOOK Relaunch
Redaktionsleiterin

18. Juni 2025, 15:48 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten

In der Karibik lebt ein bestimmter Kugelfisch, den Meeresschildkröten zum Fressen gernhaben, vom Gift aber so high werden, dass sie drohen zu ertrinken. PETBOOK-Autorin und Biologin Saskia Schneider erklärt, was hinter dem kuriosen Phänomen steckt.

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Kugelfische scheinen nicht nur für Menschen eine wahre Delikatesse zu sein. Auch Meeresschildkröten schätzen sie – vor allem eine bestimmte Art. So sorgt der Karibik-Spitzkopfkugelfisch (Canthigaster rostrata) regelmäßig dafür, dass die Tiere in einen Rauschzustand kommen. Denn auch für Reptilien gilt: Kugelfische sind wahnsinnig giftig und leider hat sich hier kein Profi vorher die Mühe gemacht, den Fisch sicher zum Verzehr zu präparieren. Das führt dazu, dass Meeresschildkröten in der Karibik von Tauchern und Tierschützern gerettet werden müssen, weil sie so high werden, dass sie es alleine nicht mehr schaffen, an die Oberfläche zum Luftholen zu kommen. Mitunter kann dieses kuriose Phänomen sogar zu einem Massensterben der gefährdeten Reptilien führen.

Warum Kugelfische so giftig sind

Der Karibik-Spitzkopfkugelfisch enthält – wie alle Kugelfische – das Gift Tetrodotoxin. Dabei handelt es sich um ein starkes Nervengift, das wir vor allem aus dem kosmetischen Bereich kennen, wo es unter der Bezeichnung Botox gegen Fältchen eingesetzt wird. Tatsächlich handelt es sich aber um eines der stärksten Gifte der Welt. Als sogenannter Natriumkanalblocker hemmt es die Kommunikation zwischen Nervenzellen – und damit die Muskelkontraktion. Das führt zu Lähmungen bis hin zum Tod. 1

Und als ob das nicht schon ausreichend wäre, besitzt der Karibik-Spitzkopfkugelfisch noch ein zweites Gift, das bisher nur in wenigen Kugelfischarten nachgewiesen wurde: das Saxitoxin. Der Wirkmechanismus ist derselbe wie beim Tetrodotoxin. In Kombination führen beide zu schweren Vergiftungen und Lähmungen – und das schon in sehr geringen Konzentrationen.

Werden die Meeresschildkröten wirklich high?

Erstaunlicherweise sterben die Meeresschildkröten jedoch nicht sofort, wenn sie Fische verspeisen. Viele Tiere verlieren zunächst die Fähigkeit, sich zu bewegen, und sinken an den Grund. Dadurch machen sie auf den Beobachter einen entspannten Eindruck – so wie wenn wir Menschen Cannabis konsumieren. Vielleicht findet man deshalb in populären Medien immer mal wieder die Formulierung, die Meeresschildkröten würden von den Fischen high werden. Ob die Tiere dabei aber tatsächlich „anregende Gedanken“ wie bei einem Trip haben, bleibt wohl für immer das Geheimnis der Reptilien.

Allerdings weist das Verhalten eines anderen Meerestiers darauf hin, dass man durch Kugelfischgift tatsächlich in einen Rauschzustand versetzt werden kann. So wurde beobachtet, wie Delfine gezielt Kugelfische anstupsen. Forscher vermuten, dass es sich hierbei nicht nur um Spielverhalten handelt, sondern die Tiere aktiv high werden, da sie die Kugelfische nur sehr vorsichtig berühren. 2

In der Humanmedizin wird Tetrodotoxin bisher kaum eingesetzt. Daher gibt es auch kaum Beschreibungen über mögliche Rauschzustände. Studien zeigen aber, dass es potenziell ein sehr wirksames Schmerzmittel sein kann und sogar eine gute Alternative zu Opiaten. In der chinesischen Heilkunde wird beschrieben, dass Kugelfischgift bei richtiger Dosierung eine stärkende Wirkung haben kann. Die hauptsächliche Verwendung bestand in der „Unterdrückung von Krampfanfällen“.3

Warum fressen die Schildkröten die Fische überhaupt?

Aber warum verspeisen Meeresschildkröten immer wieder Karibik-Spitzkopfkugelfische, wenn diese so hochgradig giftig sind? Vielleicht haben sie wirklich einen guten Trip und suchen aktiv nach dem Kick? Viel wahrscheinlicher jedoch ist: Die Fische scheinen eine attraktive Beute für die Schildkröten zu sein. Zwar soll das Gift für einen furchtbaren Geschmack sorgen, doch wie viel Gift letztendlich in einem Kugelfisch vorhanden ist, kann stark variieren – auch innerhalb derselben Art im selben Ökosystem.

Bleibt allerdings die Frage, warum der zweite Abwehrmechanismus der Kugelfische nicht verhindert, dass sie gefressen werden. Denn die kleinen Fische sind nicht nur giftig, sie blasen sich – wie ihr Name schon sagt – zu einer Kugel auf. Die hat beim Karibik-Spitzkopfkugelfisch zwar nur die Größe eines Softballs – also etwa zehn Zentimeter Durchmesser –, doch die Haut ist gespickt mit Stacheln. Wer mag da schon einen Bissen nehmen? Tatsächlich zeigen Studien, dass viele Schildkröten keine lebenden, sondern tote Exemplare verspeisen. Das wird vor allem dann zum Problem, wenn es plötzlich besonders viele tote Kugelfische gibt.

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Kann sogar Massensterben auslösen

So gab es in den Jahren 2013, 2014 und 2017 regelrechte Massensterben unter Meeresschildkröten an der Küste Costa Ricas. Betroffen war vor allem die Grüne Meeresschildkröte (Chelonia mydas). Untersuchungen eines US-amerikanischen Forscherteams kamen zu dem Ergebnis, dass die vielen toten Tiere im Zusammenhang mit einem Massensterben von Karibik-Spitzkopfkugelfischen standen. Zwar ernähren sich Grüne Meeresschildkröten vor allem pflanzlich, verschmähen aber tote Fische nicht, wenn sich die Gelegenheit bietet, schreiben die Wissenschaftler.

Sie fanden zahlreiche Exemplare von Kugelfischen in den Mägen der Schildkröten. Die meisten Tiere starben laut Analysen an Vergiftungen und den daraus resultierenden Lähmungserscheinungen. Zwei Tiere wurden jedoch lebend geborgen und erholten sich nach 24 bis 48 Stunden wieder vollständig. Das Gift scheint die Schildkröten also nicht immer gleich zu töten, was auch zahlreiche Augenberichte bestätigen, in denen Taucher und Tierschützer berichten, wie sie Meeresschildkröten, die kopfüber oder regungslos am Meeresgrund lagen, gerettet haben.

Warum es immer wieder zum Massensterben der Spitzkugelfische kommt und damit auch zum Sterben von Meeresschildkröten, konnte nicht geklärt werden. Die Forscher vermuten jedoch, dass es mit der massenhaften Einwanderung von Jungtieren in Nahrungsgebieten zusammenhängen könnte. Ähnliches soll auch bei anderen Kugelfischen beobachtet worden sein.

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Fazit:

Der Karibik-Spitzkopfkugelfisch (Canthigaster rostrata) stellt für Meeresschildkröten eine gefährliche, aber offenbar verlockende Nahrung dar. Dies kann zu schweren Vergiftungen und Lähmungen führen, was in manchen Fällen sogar zum Tod oder – wenn es besser läuft – zur Rettung durch Taucher führt. Auch wenn einige Beobachtungen auf einen rauschähnlichen Zustand der Tiere hindeuten, bleibt unklar, ob die Meeresschildkröten tatsächlich high werden oder bewusst einen Rauschzustand suchen. Klar ist jedoch: Das Zusammenspiel von natürlicher Giftigkeit und tierischem Verhalten stellt ein ernstzunehmendes Risiko für gefährdete Meeresschildkröten dar.

Porträt Saskia Schneider auf dem PETBOOK Relaunch
Redaktionsleiterin

Zur Autorin

Dr. Saskia Schneider ist promovierte Biologin. In ihrem Studium an der Freien Universität Berlin widmete sie sich vor allem der Zoologie und dem Verhalten von Tieren. 

Themen Meerestiere Schildkröten

Quellen

  1. seattleaquarium.org, „Pufferfish and porcupinefish(aufgerufen am 18.06.2025) ↩︎
  2. dailymail.co.uk, „What does a dolphin use to get high? A toxic puffer fish that makes them lapse into a trance-like state“ (aufgerufen am 18.06.2025) ↩︎
  3. Kao, C.Y. (1966) „TETRODOTOXIN, SAXITOXIN AND THEIR SIGNIFICANCE IN THE STUDY OF EXCITATION PHENOMENA“. Pharmacological Reviews, Volume 18, Issue 2, 997 - 1049 ↩︎

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