28. Mai 2025, 5:52 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Sie verschenken Würmer, reagieren auf Reize und erkennen sich im Spiegel – manche Vögel zeigen Verhaltensweisen, die vermuten lassen, dass die Tiere ein Bewusstsein besitzen. Was sagt die Wissenschaft dazu? PETBOOK hat neue Erkenntnisse über ihre kognitiven Fähigkeiten und ihre Selbstwahrnehmung.
Jeder, der sein Leben mit Papageien oder Wellensittichen teilt, würde diese Frage wohl mit einem klaren „ja“ beantworten. Doch ob Vögel über ein Bewusstsein verfügen, lässt sich nicht so einfach beantworten. Denn was ist das überhaupt, ein Bewusstsein? Diese Frage beschäftigt nicht nur die Philosophie seit Jahrhunderten, sondern auch die moderne Neurowissenschaft. PETBOOK hat nachgefragt und Antworten eines Neurowissenschaftlers erhalten.
Was Bewusstsein bei Tieren bedeuten kann
Neben der Frage, ob Tiere ein Bewusstsein haben, geht Konrad Lehmann, Neurobiologe und Autor des Buches „Das Bewusstsein der Tiere“, der Frage auf den Grund, was ein Bewusstsein überhaupt ausmacht. Der Neurowissenschaftler betont: Bewusstsein ist kein monolithischer Zustand, sondern besteht aus vielen geistigen Fähigkeiten, die im Gehirn an verschiedenen Stellen verankert sind. Die folgenden sind die zentralen Merkmale, die laut Lehmann für bewusstes Erleben entscheidend sind – auch bei Tieren.
Ein inneres Modell der Welt
Ein zentrales Kriterium ist die Fähigkeit, ein inneres Bild der Umwelt zu formen. Dieses mentale Modell umfasst nicht nur aktuelle Sinneseindrücke, sondern auch Erinnerungen und Erwartungen – es erlaubt einem Lebewesen, flexibel auf neue Situationen zu reagieren, Handlungen vorauszuplanen und sich im Raum sowie in sozialen Zusammenhängen zu orientieren.
Theory of Mind
Ebenso wesentlich ist die sogenannte Theory of Mind: die Fähigkeit, sich vorzustellen, was ein anderes Lebewesen denken, wissen oder fühlen könnte. Diese geistige Perspektivübernahme ist ein zentrales Element sozialer Intelligenz – und bei manchen Tierarten, darunter auch bestimmten Vogelarten, in Ansätzen nachweisbar.
Gezielte Aufmerksamkeit
Ein weiteres Merkmal, das auf das Vorhandensein eines Bewusstseins hindeutet, ist gezielte Aufmerksamkeit. Gemeint ist die Fähigkeit, Reize oder Gedanken bewusst wahrzunehmen und zu fokussieren – im Gegensatz zu automatisierten oder reflexhaften Reaktionen. Aufmerksamkeit erlaubt es, Prioritäten zu setzen, Entscheidungen zu treffen und Erfahrungen zu reflektieren.
Moralisches Bewusstsein
Das Vorhandensein eines moralischen Bewusstseins bezieht sich laut Lehmann auf die Fähigkeit, eigenes Handeln im Licht sozialer oder fairer Normen zu betrachten. Auch wenn dieser Aspekt bei Tieren bislang kaum erforscht ist, könnte er sich etwa im kooperativen Verhalten oder in altruistischen Reaktionen andeuten.
Ich-Bewusstsein
Ich-Bewusstsein bedeutet, sich selbst als eigenständiges Wesen mit stabiler Identität zu erleben. Es setzt voraus, zwischen sich und der Umwelt unterscheiden zu können – eine Fähigkeit, die sich etwa im Spiegeltest oder im bewussten Handeln ausdrücken kann.
Subjektivität
Subjektivität meint das Erleben der Welt aus der eigenen Perspektive – das persönliche Gefühl von „Ich“. Dieses Merkmal ist schwer zu erfassen, gilt aber als Kern des Bewusstseinsbegriffs. Subjektivität zeigt sich beispielsweise darin, wie Lebewesen Erfahrungen verarbeiten, Emotionen empfinden oder Entscheidungen individuell treffen.
Individualität
Eng damit verknüpft ist die Individualität eines Tieres – also die Tatsache, dass jedes Individuum eigene Vorlieben, Verhaltensweisen und Erfahrungswelten ausbildet. Diese Einzigartigkeit spricht dafür, dass Tiere keine reinen Funktionsautomaten sind, sondern mit einem eigenen inneren Erleben auf die Welt reagieren.
Bewusstsein äußert sich nicht in einem einzelnen Indikator, sondern in einem Spektrum kognitiver Merkmale. Welche Kriterien für das Vorhandensein eines Bewusstseins erfüllen Vögel?
Kluge Vögel: Hinweise auf ein inneres Erleben
Dass Vögel wie Rabenvögel und Papageien eine hohe Intelligenz besitzen, ist bekannt – doch könnten sie sogar über ein Bewusstsein verfügen? Für Konrad Lehmann sprechen bestimmte Verhaltensweisen und neurowissenschaftliche Befunde genau dafür.
Ein Beispiel liefert eine Studie mit Neunkrähen, bei der sogenannte „maskierte Reize“ zum Einsatz kamen. Dabei wurde den Tieren für wenige Millisekunden ein Bild gezeigt, das direkt im Anschluss durch ein zweites Bild überlagert wurde – eine Methode, mit der das erste Bild eigentlich unterhalb der bewussten Wahrnehmungsschwelle bleiben sollte. Dennoch reagierten die Krähen auf den verborgenen Reiz: Ihre Gehirnaktivität deutete darauf hin, dass sie glaubten, etwas gesehen zu haben. Für Lehmann ist das ein Beispiel für „operationsalisiertes Bewusstsein“ – Bewusstsein, das sich indirekt über Verhalten und Hirnreaktionen nachweisen lässt.
Auch metakognitive Fähigkeiten – also die Fähigkeit, über das eigene Wissen und die eigene Unsicherheit nachzudenken – wurden bei Krähen experimentell nachgewiesen. In einem Versuch mussten sie entscheiden, ob sie ein Bild aus einer Auswahl korrekt identifizieren wollten oder lieber eine sichere Belohnung wählten, unabhängig vom Ergebnis. Die Tiere trafen ihre Wahl abhängig davon, wie sicher sie sich offenbar waren. Dieses strategische Verhalten wird als Zeichen von Selbstreflexion gewertet – ein geistiger Prozess, der beim Menschen eng mit Bewusstsein verknüpft ist.
Zudem zeigen Vögel im Umgang mit Objekten komplexe Fähigkeiten. Neukaledonische Krähen etwa stellen aus kleinen Ästen oder Blättern gezielt Hakenstäbe her – Werkzeuge mit einem gebogenen Ende, mit denen sie Insekten aus Ritzen angeln können. Dabei passen sie Form und Material dem jeweiligen Problem an. Dass dieses Verhalten nicht rein instinktiv, sondern zielgerichtet, flexibel und erfinderisch ist, spricht laut Lehmann dafür, dass die Tiere ein inneres Modell der Welt nutzen – ein weiteres Indiz für bewusstes Erleben.
Gefühle, Empathie und Selbstbild bei Vögeln
Bewusstsein zeigt sich nicht nur in kluger Problemlösung, sondern auch im Vorhandensein von Gefühlen, Spielverhalten oder Selbstwahrnehmung. Auch hier liefern Vögel bemerkenswerte Hinweise.
Ein Beispiel ist das soziale Fütterungsverhalten männlicher Eichelhäher. Während der Balz bringen sie ihrer Partnerin gezielt bestimmte Wurmarten als Geschenk – jedoch nicht willkürlich. Studien zeigen: Die Männchen merken sich, was das Weibchen kürzlich gefressen hat und wählen anschließend eine andere Sorte. Diese Fähigkeit, die Sättigung und Vorlieben eines anderen Lebewesens zu berücksichtigen, interpretieren Forschende als Perspektivübernahme – ein zentrales Element der Theory of Mind. „Eichelhäher beschenken ihre Angebetete mit Würmern, die sie mögen. Sie achten darauf, was das Weibchen schon oft hatte und bringen dann etwas anderes“, fasst Lehmann zusammen.
Ein weiteres Indiz für das innere Erleben von Vögeln zeigt sich mithilfe des Spiegeltests, bei dem geprüft wird, ob ein Tier sich selbst erkennen kann. Während viele Arten auf ihr Spiegelbild lediglich sozial reagieren, zeigen Elstern ein auffälliges Verhalten: Sie versuchen, einen aufgeklebten Farbpunkt am eigenen Körper zu entfernen – allerdings nur dann, wenn er im Spiegel sichtbar ist. Lehmann sieht darin ein mögliches Zeichen für Selbstmodellierung – also die Fähigkeit, sich selbst als von der Umgebung getrenntes und handelndes Wesen zu erleben.
Auch spielerisches Verhalten gilt als Indiz für emotionale Intelligenz. Einige Vogelarten zeigen Spielhandlungen, die keinem direkten Zweck wie Nahrungssuche oder Sozialverhalten dienen – etwa das wiederholte Fallenlassen von Objekten, Balancieren oder akrobatische Flugfiguren. Solche Verhaltensweisen sind individuell, kontextabhängig und wiederholbar – und lassen auf Spontaneität, Emotion und vielleicht sogar Freude schließen. Lehmann verweist hier auch auf Beispiele aus dem Insektenreich, etwa die Gallische Feldwespe, die als Beleg für spielerisches Verhalten bei nicht-menschlichen Tieren gilt.

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Haben Vögel ein Bewusstsein?
Auch wenn (die meisten!) Vögel nicht sprechen können, gibt es Indizien, die darauf hindeuten, dass Vögel ein Bewusstsein besitzen – nicht nur für äußere Reize, sondern auch für soziale Kontexte und innere Zustände.
Insgesamt zeigt sich:
- Vögel handeln nicht nur instinktiv, sondern differenziert, flexibel und individuell.
- Sie erkennen Bedürfnisse, Erfahrungen und Vorlieben anderer – und reagieren entsprechend.
- Es gibt Hinweise auf Selbstmodellierung: Sie scheinen sich als eigenständiges Wesen wahrzunehmen.
Dass Rabenvögel etwa vorausschauend handeln, eigene Entscheidungen reflektieren und sich sogar im Spiegel erkennen, lässt auf ein inneres Erleben schließen. Hinzu kommen komplexe soziale Verhaltensweisen, etwa das gezielte Beschenken von Partnern oder das Anpassen an den emotionalen Zustand anderer. Kurz gesagt: Das Bild vom geistlosen Vogel scheint überholt.1