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Bruderhähne

Was wirklich mit „geretteten“ männlichen Küken passiert

Hunderte „gerettete“ Bruderhähne in einem Masttierstall ohne Tageslicht
Das Material, das die Tierschutzorganisation „Animal Society“ erreicht hat, ist wahrhaft erschreckend. Hunderte Hähne vegetieren in einem zu kleinen Stall ohne Tageslicht vor sich hin Foto: Animal Society
Louisa Stoeffler
Redakteurin

17.07.2023, 17:35 Uhr | Lesezeit: 11 Minuten

Als der Beschluss erlassen wurde, dass männliche Küken nicht mehr direkt nach dem Schlüpfen getötet werden dürfen, freuten sich viele Tierschützer in Deutschland. Doch nun sind die Eier teurer, „Bruderhähne“ werden im Ausland gemästet und trotzdem stecken in vielen Produkten noch immer Eier „mit Kükentöten“!

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Seit dem 1. Januar 2022 ist in Deutschland das Kükentöten in der Hühnerwirtschaft verboten. Dies bezieht sich vor allem auf die männlichen Küken, die in Legebetrieben auf die Welt kommen. Diese wachsen, im Gegensatz zu Hähnen in Mastbetrieben, eher langsam und liefern nur wenig Fleisch. Ihre Aufzucht ist also unwirtschaftlich. Zudem bewirkt sie, dass die Händler die Eier seitdem teurer verkaufen müssen, um das Futter und die Aufzucht der sogenannten „Bruderhähne“ mitzufinanzieren.

Zeitnah sind auf vielen Eierpackungen diverse Logos aufgetaucht. Diese werben mit dem Versprechen, auf das Töten von männlichen Küken zu verzichten oder sich dem Schutz der Bruderhähne zu widmen. Doch nun zeigen erschreckende Bilder, die der Tierschutzorganisation „Animal Society“ vorliegen, eine Realität der Mast von Bruderhähnen, die das Verbot der Tötung von männlichen Küken erst möglich gemacht hat. Hat das Verbot also gar keine positiven Konsequenzen für die Tiere? Und landen in deutschen Supermärkten wirklich nur noch Produkte ohne „Kükentöten“? PETBOOK hat nachgefragt.

Tierschutzorganisation zeigt Missstände in Hühnerbetrieben auf

Den Tierschützern der „Animal Society.org“ wurde Bild- und Videomaterial aus polnischen Mastbetrieben zugespielt, in denen die Bruderhähne aus den Legebetrieben aufgezogen werden. Den Informationen nach hat sich bereits kurz nach dem Inkrafttreten des Gesetzes ein neuer Zweig der Massentierhaltung gebildet. Die „geretteten“ männlichen Küken würden über weite Strecken ins europäische Ausland in Betriebe zur Massenaufzucht transportiert.

Carlotta Heinemann von der „Animal Society“ ordnet das Material für PETBOOK ein. „Als ich die Bilder zum ersten Mal gesehen habe, haben sie mich sehr traurig gemacht. Wir hatten bereits die Vermutung, dass die Bruderhähne in vielen Betrieben kein gutes Leben haben. Das allerdings so deutlich auf Fotos und Videos zu sehen, hat sich dann noch mal ganz anders angefühlt. Zu sehen, wie diese Tierkinder durch ganz Europa transportiert und dann in dunkle, enge Ställe gesperrt werden, um nur zweieinhalb Monate später, immer noch im Kindesalter, getötet zu werden, hat uns traurig und verständnislos zurückgelassen.“ 

Verständnislos seien die Tierschützer deshalb, weil es Alternativen zu dieser Bruderhahn-Aufzucht gebe. „Und weil es absurd ist, dass sich hier in Zeiten, in denen sich Menschen Tierschutz wünschen und ein Abbau der Massentierhaltung aus vielerlei Hinsicht dringend nötig ist, neue Sparten der Massentierhaltung bilden.“ 

Hunderte männliche Küken drängen sich auf engstem Raum
Hunderte männliche Küken drängen sich auf engstem Raum ohne Tageslicht, Sitzstangen oder Kratzmöglichkeiten Foto: Animal Society

Auch interessant: Bundestag beschließt umstrittenes Tierhaltungskennzeichen – das sagen Tierschützer und Landwirte

Wohin mit 45 Millionen Bruderhähnen?

Laut Informationen des Deutschen Tierschutzbundes starben vor dem Verbot jährlich 45 Millionen männliche Küken. Die industrielle Tierhaltung sieht sich nun also mit 45 Millionen Hähnen konfrontiert, die es vorher nicht gab. Für diese Tiere müsse man Unterbringung und Futter finden und finanzieren. Vergleiche man das Leben der Bruderhähne jedoch mit einem erfüllten Hühnerleben, werde schnell klar, dass die Tiere leiden, sagt Carlotta Heinemann PETBOOK weiter. „Wir konnten immer wieder kranke, schwache und verletzte Tiere sehen. Nicht verkennen darf man allerdings auch den psychischen Leidensdruck, der eben nicht immer von außen zu sehen ist.“

Eine Alternative ist die Aussortierung der männlichen Küken vor dem Schlüpfen. Dabei werden die Eier einer Geschlechteranalyse unterzogen. Diese ist ab dem 7. Bebrütungstag möglich. Sie führt dann entweder dazu, dass die Eier mit männlichen Küken nicht weiter bebrütet, oder aber vernichtet werden. Auch Eier aus Betrieben dieser Art dürfen Supermärkte und Händler in Deutschland mit der Aufschrift „ohne Kükentöten“ verkaufen. „Was viele Verbraucher allerdings nicht wissen: ‚Ohne Kükentöten‘ kann auch bedeuten, dass statt des geschlüpften Kükens ein Embryo abgetötet wurde, der ggf. schon Schmerzen empfinden konnte“, ordnet Pressesprecherin Lea Schmitz vom Deutschen Tierschutzbund die Situation für PETBOOK ein.

Eine dritte Möglichkeit ist die Zucht von sogenannten Zweinutzungshühnern. Diese sind gleichzeitig für die Eier- und Fleischerzeugung vorgesehen. Somit trete das Problem eines wirtschaftlich wertlosen männlichen Geschlechts gar nicht erst auf, wie Lea Schmitz PETBOOK mitteilt. Ebenso seien die Zweinutzungsrassen meist nicht so überzüchtet und die Tiere hätten weniger gesundheitliche Probleme.

Auch interessant: Diese Vögel sind Zweinutzungshühner (via BILD)

Nur Eier „ohne Kükentöten“ in Deutschland? Nicht wirklich

Zudem gibt es noch ein weiteres Problem, was die artgerechte Aufzucht von Bruderhähnen verschärft: die fehlende Regulierung innerhalb Deutschlands. PETBOOK hat beim KAT, dem Verein für kontrollierte alternative Tierhaltungsformen e. V. nachfragt, wie die Gesetzeslage dafür aussieht. So sei die Aufzucht der Hähne in Deutschland seitens des Gesetzgebers nicht geregelt, es gebe keine Vorgaben. Im Ausland fänden darüber hinaus deutsche Gesetze keine Anwendung. Eine Überprüfung durch deutsche Behörden ist nicht möglich. „Etwa 50 Prozent der im KAT angemeldeten Hennenplätze befinden sich im Ausland“, teilt der Verein PETBOOK auf Nachfrage mit. „KAT-Vorgaben gelten aber für alle Betriebe, die Eier für das KAT-System produzieren und somit das Siegel tragen möchten.“

Laut eigenen Angaben sind etwa 90 Prozent der in Deutschland im Einzelhandel verkauften Eier von der KAT kontrolliert. Eierverpackungen, auf denen das KAT-Siegel zu sehen ist, sind also zertifiziert. Der Verein prüft die herstellenden Betriebe einmal pro Jahr. Allerdings betrifft dies vor allem unverarbeitete Eier.

Denn insbesondere im Verarbeitungsbereich für Nudeln, Backwaren oder Eierlikör verwendet man auch nicht kontrollierte Eier. Auch im losen Verkauf, wie auf Wochenmärkten, Direktverkäufen auf Höfen, in Restaurants sowie im Catering kommen häufig nicht zertifizierte Eier zum Einsatz. Diese entstammen dann häufig der Klassifizierung MKT (mit Kükentöten) und zum Teil noch aus Käfighaltung. „Der Import- und Verkauf dieser Eier mit Kükentöten bzw. aus Käfighaltung ist in Deutschland noch immer ganz legal, die Produktion jedoch nicht.“

Labels sind „reine Werbemasche“

In vielen verarbeiteten Produkten finden sich also noch immer nicht zertifizierte Eier. Aber wo ein Label ist, da herrscht Transparenz? Lea Schmitz ist da anderer Meinung: „Die Aufschrift ‚ohne Kükentöten‘ auf Eierverpackungen ist im Grunde eine reine Werbemasche. Denn das Töten geschlüpfter Küken ist ohnehin – zum Glück – gesetzlich verboten.“ Zudem klinge es so, als ob die männlichen Küken aufgezogen würden. Das sei aber nicht der Fall, wenn die Betriebe die männlichen Küken schon als Embryo aussortieren.

Der Deutsche Tierschutzbund hat daher eine Liste der Erzeuger von Eiern kuratiert. Diese wurden in die Kategorien „empfehlenswert“ bzw. „nicht empfehlenswert“ eingestuft. Unter anderem kritisieren die Tierschützer dabei die Intransparenz, ob Küken wirklich aufwachsen oder bereits als Ei aussortiert werden. Durch eine geplante Gesetzesanpassung soll dies ab 2024 sogar bis zum 12. Bebrütungstag möglich sein. Dies kritisiert Thomas Schröder, Präsident des Tierschutzbundes, scharf. Denn somit legitimiere man dauerhaft die „Entsorgung“ männlicher Embryonen aus wirtschaftlichen Gründen. „Das Leid der überzüchteten Legehennen und Masthühner wird weiter in Kauf genommen“.

Die Animal Society vertritt jedoch eine andere Ansicht. „Bis wir keine wissenschaftlichen Gegenbeweise haben, nehmen wir dieses Ergebnis an. Für uns macht es einen großen Unterschied, ob ein Embryo vor dem Schlüpfen und ohne Schmerzempfinden getötet wird oder ein Küken nach dem Schlüpfen bzw. ein junger Hahn nach 2,5 Monaten Aufzucht. Dahin gehend teilen wir die Auffassung des Deutschen Tierschutzbundes nicht, dass die Tötung jetzt lediglich vorverlagert wird und dies keinen Unterschied zum Kükentöten nach dem Schlüpfen machen würde.“

Bruderhähne haben meist kein glückliches Leben

Allerdings sind die Zustände, die die Tierschützer entdeckt haben, so auch nicht vertretbar. „Die Bruderhahnaufzucht ist erst neu entstanden und sollte auf keinen Fall weiter gefördert werden“, urteilt Carlotta Heinemann von der Animal Society. Sie sei völlig unnötig und könnte genauso schnell, wie sie aufgetaucht ist, wieder verschwinden. „Denn auch, wenn Bruderhähne unter besseren Bedingungen gehalten würden, in denen sie ein Leben nach ihren Vorstellungen und Bedürfnissen führen könnten, steht am Ende die Tötung, die immer mit Leid einhergeht.“ Und das, obwohl es in Europa nicht einmal eine nennenswerte Nachfrage nach Bruderhahnfleisch gebe.

Dem kann sich Lea Schmitz von Deutschen Tierschutzbund nicht gänzlich anschließen. „Besser ist, Eier von Legehennen zu kaufen, deren Brüder aufgezogen wurden – allerdings nur, wenn die Aufzucht der Bruderhähne unter tiergerechten Bedingungen stattgefunden hat! Das ist leider oft nicht der Fall.“ Der Umgang mit den Bruderhähnen sei jedoch oftmals tierschutzwidrig räumt Schmitz ein. Denn es fehlten spezielle Regelungen zu ihrer Aufzucht, Haltung und Schlachtung, die oftmals im Ausland erfolge. „Sofern die Hähne konventionell aufgezogen werden oder sich dazu überhaupt keine Angaben finden, würden wir nicht empfehlen, die Initiativen zu unterstützen.“ 

Eingezwängt in winzige Käfige werden die Bruderhähne für den Schlachthof vorbereitet
Eingezwängt in winzige Käfige werden die Bruderhähne für den Schlachthof vorbereitet – ein ganzes Leben, ohne die Sonne gesehen zu haben Foto: Animal Society

Was hat das Verbot zum Kükentöten in Deutschland gebracht?

Lea Schmitz findet es trotzdem „gut und wichtig“, dass Deutschland als Erstes in der EU ein Kükentötungsverbot erlassen hat. „Schließlich braucht es im Tierschutz immer ein Land, das vorausgeht. Wichtig wäre, dass andere Länder nachziehen bzw. eine Regelung auf EU-Ebene getroffen wird.“ Ansonsten werde es weiter möglich sein, Eier von Legehennen, deren Brüder getötet wurden, nach Deutschland zu importieren. „Auch ist es leider bereits vorgekommen, dass Brütereien Küken zum Töten ins Ausland verbracht haben, was allerdings gegen das deutsche Tierschutzgesetz verstößt.“  

Auch der KAT wünscht sich eine Lösung auf europäischer Ebene. In der Zwischenzeit hat er eigenständige Richtlinien formuliert. Diese sollen dem Tierwohl Rechnung tragen und würden regelmäßig kontrolliert. In Zusammenarbeit mit Vertretern aus der Tierhaltungs-Praxis, Wissenschaftlern, Tierärzten, Lebensmittelhandel und Tierschutzorganisationen hat der KAT Bedingungen für die Haltung von Hühnern definiert.

Was aber erwartet Betriebe, die Bruderhähne unter schlechten Bedingungen gehalten haben? „Im Falle von festgestellten Abweichungen zu den Standards werden die Betriebe aufgefordert, die Mängel binnen einer festgelegten Frist zu beheben“, teilt der KAT PETBOOK auf Nachfrage mit. „Im Falle von gravierenden Mängeln wird dem Betrieb mit sofortiger Wirkung die Vermarktung der Ware mit dem KAT-Siegel verboten. Die Sanktionen reichen dann bis zur Kündigung des Teilnahmevertrages und somit zum Ausschluss aus dem KAT-System.“

Das sagen die Supermärkte

PETBOOK hat bei großen deutschen Supermarktketten nachgefragt, ob die Enthüllungen der Animal Society sie ebenfalls betreffen und was sie Verbrauchern, die guten Gewissens Eier „ohne Kükentöten“ kaufen, mitteilen wollen. Alle Supermärkte bestätigten PETBOOK, dass sie Eier „ohne Kükentöten“ verkaufen würden und beriefen sich auf die KAT-Zertifizierung ihrer Ware. Allerdings setzen die Märkte auf verschiedene Techniken. Bei Lidl kommen Eier mit Geschlechterbestimmung sowie Hahnaufzucht in den Verkauf. Bei Aldi Nord und Süd sei das Schaleneiersortiment schon seit Ende 2021 frei von Kükentöten. „Neben der Aufzucht der männlichen Küken, den sogenannten Bruderhähnen, setzt ALDI zunehmend auch auf die frühzeitige Geschlechtsbestimmung im Brutei“, lässt Aldi PETBOOK mitteilen.

Auch Andrea Kübler von der Kaufland-Unternehmenskommunikation versicherte, dass Filialen bundesweit ausschließlich Eier „ohne Kükentöten“ verkaufen. Bei Kaufland sei deshalb sei die Früherkennung nur bis zum 10. Tag zugelassen und in der Regel spätestens am 9. Tag abgeschlossen. Zum Teil erfolge die Aufzucht bei Kaufland nach Bio- bzw. sogar Bioland-Kriterien. „Wir arbeiten laufend daran, unser Sortiment im Sinne einer verantwortungsvolleren Tierhaltung auszubauen.“

Thomas Bonrath, Pressesprecher der Rewe-Group, äußerte sich für PETBOOK ebenfalls. „Selbstverständlich haben Rewe und Penny Kenntnis über die Haltungsbedingungen der ‚Bruderhähne‘, die aus dem Eigenmarken-Frischeiangebot resultieren. Weil wir mit langjährigen, namhaften Vertragspartnern zusammenarbeiten, weil durch lückenlose Dokumentation eine Rückverfolgbarkeit und Überprüfbarkeit gewährleistet wird und weil regelmäßige Audits die Einhaltung der gesetzlichen Standards und weiterer Verpflichtungen überwachen.“

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Bio-Company: »Geschlechterselektion stellt lediglich ein unwürdiges Kaschieren des Tiertötens dar

Auch die Bio-Company teilt PETBOOK mit, dass ihre Lieferanten nicht betroffen seien. Läden dieser Kette böten nur Bio-Eier mit Verbandszertifizierung an, die über die EU-Bio-Bestimmungen noch hinaus gingen. Die Selektierung der Eier, die im konventionellen und EU-Biobereich erlaubt seien, werde bei der Bio-Company nicht durchgeführt. „Denn aus unserer Sicht stellt die In-Ovo-Selektion lediglich ein unwürdiges Kaschieren des Tiertötens dar, denn nach der Geschlechtererkennung werden die als männlich erkannte Tiere bereits im Embryo-Stadium getötet und anschließend entsorgt.“ Langfristiges Ziel der Bio-Company sei es, eine jahrzehntelang fehlgeleitete Praxis in der Züchtung von Hühnerrassen zu korrigieren. Ein Zweinutzungshuhn sei die nachhaltigere Perspektive.

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