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Meinung

Wie viele Tierhaltungskennzeichen braucht Deutschland eigentlich?

Cem Özdemir spricht auf der Grünen Woche 2023 über das neue Tierhaltungskennzeichen der Bundesregierung
Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, spricht auf der Eröffnungsfeier der Grünen Woche 2023. Der Minister warb unter anderem für das geplante, neue Tierhaltungskennzeichen. Foto: picture alliance/dpa | Fabian Sommer
Louisa Stoeffler
Redakteurin

24.01.2023, 16:54 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten

Haltungsform Stall, Offenstall oder doch Bio – kaum ein Verbraucher sieht bei den ganzen Logos und Labels im Supermarkt noch durch. Aber wie viele Tierhaltungskennzeichen braucht Deutschland eigentlich? Wird der Dschungel mit jedem neuen nicht noch größer, sodass niemand mehr weiß, was er eigentlich kaufen soll? Und wo bleibt in diesem Wirrwarr eigentlich der Tierschutz?

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Kein Kükentöten und am besten Freilandhaltung – darüber denken viele Verbraucher nach, bevor sie Eier in ihren Einkaufswagen legen. Bei Fleisch wiederum sollte man Packungen mit dem Tierhaltungskennzeichen 1 gleich gar nicht mehr kaufen, denn die Tiere sehen nie das Tageslicht und sind im schlimmsten Fall sogar den ganzen Tag angebunden. So suggeriert es das bislang gültige Label der Haltungsformen, welches durch den Handel entwickelt wurde.

Gleichzeitig ist Haltungsform 1 stets günstiger und wird noch immer im Supermarkt verkauft. Sucht man nach Haltungsform 3 und 4 wird das Angebot spärlich. Zuletzt waren laut Informationen von Greenpeace nur drei Prozent des Fleisches mit Haltungsform 3 gekennzeichnet, denn mehr müssen die Supermärkte nicht anbieten. Die Folge: Fleisch mit Haltungsform 3 bleibt in den Regalen liegen, da es zu teuer ist. Haltungsform 2 dominiert die Fleischabteilungen. Aber reichen 20 Prozent mehr Platz und die Möglichkeit, einmal die Sonne zu sehen für mehr Tierschutz in der Nutztierhaltung?

Brauchen wir wirklich noch ein Tierhaltungskennzeichen?

Um das ganze Chaos perfekt zu machen, wurde im Dezember im Bundestag in erster Lesung ein Tierhaltungskennzeichnungsgesetz vorgestellt, dass ein weiteres Siegel auf Fleischverpackungen nach sich ziehen könnte. Es soll verpflichtend für alle sein, im europäischen Ausland eine Empfehlung, kein Muss. Und es gilt zunächst nur für Schweinefleisch, das in Supermärkten landet. Nicht für Gastronomie oder Lieferdienste. Aber braucht Deutschland wirklich noch ein weiteres Tierhaltungskennzeichen?

Reicht das Tierhaltungskennzeichen für mehr Tierschutz aus?

Die aktuelle Foodwatch-Studie 2023 zeigt, wie unzulänglich das bislang genutzte Tierhaltungskennzeichen des Handels ist. In allen Haltungsformen leiden Tiere, auch in der von vielen als das Nonplusultra angesehenen Bio-Haltung.

Der neue Gesetzesentwurf über die Haltungskennzeichen sieht nun fünf verschiedene Formen vor, darunter Stall, Stall Plus, Frischluftstall, Auslauf/Freiland und als fünftes Bio-Haltung. Ein staatliches Siegel darf keine Farbgebung enthalten und auch kein Ranking von 1 bis 5. Optisch ist das neue, für alle verpflichtende Siegel jedoch so gestaltet, dass die Bio-Haltung wieder ganz oben angesiedelt ist.

Beseitigt man damit alle Verwirrung der Verbraucher und schafft mehr Raum für Tierschutz? Prangt das neue Label bald auf den Packungen neben allen anderen und sagt im Zweifelsfall sogar etwas anderes, als das bestehende Kennzeichen mit nur vier Stufen? Viele wollen nachhaltiger leben und essen deshalb weniger oder kaufen sehr bewusst Fleisch. Wie soll man dann erkennen, welches Fleisch mit der eigenen Philosophie des Tierschutzes in der Nutztierhaltung konform ist?

Wie steht es um ein Tierschutzkennzeichen?

Anlässlich der Grünen Woche 2023 zog der Deutsche Tierschutzbund mit einem traditionellen Stehempfang und einer Pressestunde Bilanz über sein eigenes Label, das seit 10 Jahren existiert. Ebenfalls besprochen wurden die abweichenden Pläne des neu geplanten Siegels des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. PETBOOK war vor Ort und beleuchtet die aktuellen Entwicklungen.

Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, mahnte an, dass der Koalitionsvertrag der aktuellen Regierung auch tierschutzrelevante Bereiche wie Transport und Schlachtung von Tieren beinhalte. Dies sei mit dem neuen Kennzeichen, welches sich wieder nur mit der Haltung der Tiere beschäftige, jedoch nicht eingehalten. Eine „klare Tierschutz-Strategie“ sei nicht erkennbar und Kontrollen beim staatlichen Kennzeichen nahezu ausgeblendet.

Auch bezeichnete Schröder die Pläne zum neuen Label als „Koma-Labelling“. Es wäre für den Verbraucher immer schwieriger, zwischen den verschiedenen Haltungsformen zu unterscheiden. Man solle eher Dynamik in das System bringen, damit sukzessive mehr Tierschutz in die Ställe einziehe. Auch die Transformation der Landwirtschaft sei eine zentrale Aufgabe für mehr Tierschutz. Der Tierschutzbund fordert darüber hinaus ein Ablaufdatum für die Haltungsform „Stall“ und „Stall+Platz“, damit die Landwirte Planungssicherheit bekommen und wüssten, wie sie ihre Ställe in nächster Zeit anpassen müssten.

Nachweislich hätte das Label des Tierschutzbundes für Millionen Tiere Verbesserung geschaffen. Die Anzahl der Markenlizenzgeber liege bei 51, die Zahl der Handelsunternehmen, bei denen sich das Tierschutzlabel fände bei 28. Nach Daten von Statista gibt es laut den aktuellsten Erhebungen jedoch 319.995 Unternehmen im Einzelhandel. Das Label des Tierschutzbundes ist aber bei den umsatzstärksten Vertretern der Branche in den Regalen zu finden. Eine Bilanz für den Tierschutz, die zwar einen Achtungserfolg darstellt, aber ernüchtert.

Auch interessant: Wie viel Tierschutz steckt wirklich in der Grünen Woche 2023?

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Tierhaltungskennzeichen sagt nichts über Tierschutz aus

Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir und der Deutsche Tierschutzbund denken bei ihren Bemühungen die europäische Frage mit. Das Tierhaltungskennzeichen muss in Brüssel genehmigt werden, der Tierschutzbund wünscht sich ein Herkunftszeichen für den europäischen Raum, zusammen mit einem Tierschutzzeichen. Damit eben nicht mehr Mastschweine ins europäische Nachbarland gebracht werden können, um dort unbetäubt kastriert zu werden. Oder man Stopfleber oder lebend gerupfte Pute aus dem Ausland kauft, weil diese Praktiken bei uns bereits verboten wurden. Doch das scheint weiter Zukunftsmusik zu sein.

Bei allen vorhandenen Tierhaltungskennzeichen erhält man keine wirkliche Einsicht über Schlachtung, Einfuhr oder den generellen Stand des Tierschutzes. Bei der Haltungsform 1 ist nicht einmal die als nicht tierschutzkonform eingestufte Anbindehaltung verboten! Das Thema steht für 2023 auf der Agenda des BMEL, ein Ausstieg aus der Anbindehaltung bis 2030 ist angedacht. Nicht mehr als das. Auch die ökologische Landwirtschaft, sprich das EU-Bio, sei „aus Tierschutzsicht nichts wert“, sagte Thomas Schröder von Deutschen Tierschutzbund zu PETBOOK.

Was Deutschland also braucht, ist nicht ein weiteres Siegel oder Kennzeichen, das die Dinge abbildet, wie sie sind. Nur mit einem EU-weiten Tierschutzkennzeichen, auf das sich Verbraucher verlassen können, ist Tieren in der Landwirtschaft wirklich geholfen. Eine mit dem Tierschutz vereinbare Haltung, Fütterung und auch Schlachtung sollte doch machbar sein. Und das sollte unser Anspruch sein.

Teilen Sie die Meinung der Autorin über das neue Haltungskennzeichen der Bundesregierung? Wird es mehr Transparenz in puncto Einkauf und Tierschutz erzeugen? Schreiben Sie uns Ihre Meinung an info@petbook.de.

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