
16. Juli 2025, 14:03 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Orang-Utans im Boxring, verkleidet in Bikinis, die sich vor Touristen verbeugen – ist das nur harmloser Spaß oder ein ethisches Desaster? Eine neue Studie deckt auf, wie vermeintlich „nicht-konsumierende“ Formen des Wildtiertourismus – also ohne Tötung oder Jagd – dennoch tiefgreifend in die Würde, Privatsphäre und Autonomie von Tieren eingreifen können. Der Fall Bangkok offenbart dabei beunruhigende Einblicke in unsere Beziehung zu Tieren.
„Was ist falsch an Orang-Utan-Kickbox-Shows?“ – so lautet der provokante Titel einer neuen Studie zum Wildtiertourismus. Darin analysierte ein Forschungsteam der Universität für Veterinärmedizin Wien und der Universität Salzburg nicht nur physische Schäden, sondern auch die symbolische Entwertung von Tieren durch deren Sichtbarkeit im Tourismus. Anhand des Beispiels von Kickbox-Shows mit Orang-Utans in Bangkok untersuchten zwei Forscherinnen, wie Blick, Macht und Objektifizierung zusammenwirken. Denn auch schon das bloße Beobachten von Wildtieren kann erhebliche Schäden anrichten. Die Ergebnisse wurden im Fachjournal „Journal of Agricultural and Environmental Ethics“ veröffentlicht.1
Reicht der Verzicht auf Gewalt, um tierethische Standards zu erfüllen?
Immer mehr Menschen leben heute im städtischen Bereich und haben kaum mehr Kontakt zu wildlebenden Tieren. Der sogenannte Wildtiertourismus – also freilebenden Wildtieren zu Land und zu Wasser hautnah zu erleben – bietet hier Ersatz. Oft passiert dies in Form von Beobachtung in Zoos, Parks oder Shows. Dabei gelten „nicht-konsumierende“ Angebote, bei denen Tiere nicht getötet werden, als ethisch vertretbarer. 2
Doch genau hier setzt die Studie an: Reicht der Verzicht auf Gewalt, um tierethische Standards zu erfüllen? Die Autorinnen argumentieren, dass Tiere auch dann Unrecht erfahren können, wenn sie als Unterhaltungsobjekte dienen – etwa durch ständige Beobachtung, Dressur oder entwürdigende Darstellungen.
Der Mensch als dominierender Betrachter beeinflusst dabei nicht nur das Tier selbst, sondern auch unsere Vorstellung von Mensch-Tier-Beziehungen. Mit Blick auf Medien- und Tierethik untersuchten die Forscherinnen diese unsichtbaren Formen des Konsums und erweitern dadurch die ethische Diskussion rund um den Tourismus mit Wildtieren.
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Menschenaffen treten verkleidet in humorvoll-sexualisierten Shows auf
Die Autorinnen entwickelten ein theoretisches Analysemodell, das zeigt, wie Tiere im Wildtiertourismus durch Sichtbarkeit objektifiziert – also zum bloßen Objekt gemacht – werden. Sie stellten drei Hypothesen auf:
- (A) Objektifizierung bedeutet den Verlust von Subjektstatus
- (B) sie geht mit einem Machtverlust einher, und
- (C) Blick und Macht sind miteinander verknüpft.
Diese Konzepte wendeten sie auf ein konkretes Fallbeispiel an: Kickbox-Shows mit Orang-Utans in dem privaten Tier- und Freizeitpark Safari World Bangkok. Dort treten Menschenaffen verkleidet in humorvoll-sexualisierten Shows auf. Sie führen Kunststücke auf oder simulieren Kämpfe. Die Studie basiert auf einer konzeptionellen Analyse aktueller Literatur aus Tierethik, Medienethik und Philosophie.
Ziel war es, weniger offensichtliche Formen von Unrecht aufzudecken, die über Tierwohl hinausgehen – etwa die Verletzung von Würde, Privatsphäre und sogenannter „agency“ (zu Deutsch: Handlungsmacht). Denn die Tiere werden dabei nicht nur dressiert, sondern auch in ihrer Darstellungsweise kontrolliert. Diese Form der Darstellung wird als „visueller Konsum“ kritisiert.
Shows mit Wildtieren prägen Tier-Beziehung langfristig negativ
Die Studie zeigt, dass Tiere im Wildtiertourismus – selbst ohne direkte physische Gewalt – auf vielfältige Weise moralisch falsch behandelt werden. Im Fall der Orang-Utans im Kick-Box-Ring wurde festgestellt:
- Überbelichtung und Objektifizierung: Die Tiere sind dem touristischen Blick permanent ausgesetzt, ihre natürlichen Verhaltensweisen werden unterdrückt. Ihre „Wildheit“ wird in konsumierbare Unterhaltung umgewandelt.
- Verletzung von Würde und Respekt: Orang-Utans werden in Kostümen und sexuell konnotierten Shows lächerlich gemacht. Sie erfüllen „emotionale Arbeit“, um dem Publikum Spaß zu bereiten – ein Verlust an Respekt gegenüber ihrer Individualität.
- Eingeschränkte Handlungsmacht: Die Tiere haben keine Kontrolle über ihr Verhalten, keine Wahl ihrer sozialen Beziehungen, keine Autonomie.
- Verletzung der Privatsphäre: Intime Verhaltensweisen wie Küsse werden zur Showeinlage degradiert – ein tiefgreifender Eingriff in die Privatsphäre der Tiere.
- Tauschbarkeit und wirtschaftliche Ausbeutung: Tiere werden ersetzt, wenn sie „nicht mehr funktionieren“, was ihre Instrumentalisierung und Tauschbarkeit offenbart.
Die Shows suggerieren eine heitere Tier-Mensch-Interaktion, verschleiern aber grundlegende ethische Probleme. Die Forscherinnen argumentieren, dass solche Darstellungen die Mensch-Tier-Beziehung langfristig negativ prägen.
Wildtiere werden zu bloßen Unterhaltungsobjekten gemacht
Das Team betonte, dass das Problem nicht die Gefangenschaft selbst sei, sondern die spezifische Art und Weise, wie Tiere durch den Blick der Touristen sichtbar gemacht und „konsumiert“ würden. „Hier werden Orang-Utans in Bikinis oder Uniformen kostümiert und gezwungen, menschenähnliche Tricks mit oft sexualisierten Untertönen vorzuführen, wie zum Beispiel Geschlechtsverkehr zu imitieren oder provokativ zu tanzen – alles zur Belustigung der Touristen“, zitiert das Wissenschaftsmagazin „Phys.org“ Co-Autorin und Associate Professor Georgette Leah Burns.
Damit zeigen die Forscherinnen, dass auch scheinbar harmlose touristische Begegnungen tiefgreifende moralische Probleme aufwerfen können. Im Beispiel von den Orang-Utans beim Kickboxen mag das zunächst nicht verwundern. Aber selbst wenn die Tiere hinter den Kulissen der Show unter einwandfreien und artgerechten Bedingungen gehalten würden, wäre solch eine Darstellung nicht nur ethisch verwerflich. Sie befeuert auch eine vermenschlichende Sicht auf Tiere, die nicht nur im Umgang mit Wildtieren negative Auswirkungen haben kann.
Darstellung transportiert problematische Botschaften
Denn die Tiere werden nicht nur dressiert, sondern durch ihre ständige Verfügbarkeit für das menschliche Auge zu bloßen Unterhaltungsobjekten gemacht. Diese Darstellung transportiert problematische Botschaften – etwa menschliche Überlegenheit oder die Idee, dass Tiere zur menschlichen Belustigung da seien. Ein solcher Blick verstärkt anthropozentrische Weltbilder und fördert die Trennung zwischen Mensch und Tier. Das kann sich auch auf das Zusammenleben mit unseren Haustieren auswirken. Katzen und Hunde sollen uns unterhalten. Da ist es auch Recht, das Tier zur Belustigung zu erschrecken oder in Kostüme zu stecken, wie zahllose Videos in sozialen Medien zeigen.
Die Autorinnen fordern daher eine „Ethik des Sehens“, die Tiere als eigenständige Subjekte respektiert. Diese Ethik müsse Besucher sensibilisieren, statt sie zum Lachen über die so entwerteten Tiere zu verleiten. Der Beitrag leistet somit einen wichtigen Impuls für die Weiterentwicklung ethischer Standards im Tourismus. „Da der Wildtiertourismus weiter zunimmt, fordert diese Arbeit die Branche heraus, ihre ethischen Grundlagen zu überdenken und sich zu mitfühlenderen und respektvolleren Modellen des Engagements zu bewegen“, führt Burns aus. „Die Aktivitäten sollten so strukturiert sein, dass sie das Verständnis von Tieren als Individuen mit intrinsischem Wert und nicht als bloße Unterhaltung fördern“, sagt sie.
Forscherinnen schlagen Modell zur Bewertung von Tier-Tourismus-Formen vor
Die Studie basiert auf einer philosophischen Konzeptanalyse mit theoretischer Tiefenschärfe, nicht auf empirischen Tierbeobachtungen oder Interviews. Das kann als Einschränkung gelten: Aussagen zu konkreten Tierwohlzuständen (z. B. Stresslevel oder Gesundheitsdaten) bleiben spekulativ. Dennoch ist die Stärke der Arbeit ihre gründliche, systematische Aufarbeitung ethischer Zusammenhänge.
Die Forscherinnen setzen sich überzeugend mit zentralen Theorien aus Tierethik, Medienethik und Sozialphilosophie auseinander und schlagen ein innovatives Modell zur Bewertung von Tier-Tourismus-Formen vor. Das Beispiel der Orang-Utan-Shows wurde nachvollziehbar analysiert – inklusive der historischen Problematik illegaler Tierimporte.
Eine empirische Ergänzung könnte helfen, das vorgestellte Modell in der Praxis zu validieren und auf weitere Tourismustypen (z. B. „Selfies mit Faultieren“) zu übertragen. Die Studie ist ein wichtiger Beitrag für eine differenzierte ethische Debatte.

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Fazit
Die Studie macht deutlich: Nicht jede harmlos erscheinende Tourismusaktivität mit Tieren ist ethisch unproblematisch. Auch ohne Gewalt oder Tötung kann Wildtiertourismus Tiere in ihrer Würde, Privatsphäre und Handlungsmacht verletzen. Die Forscherinnen zeigen, dass Sichtbarkeit und Objektifizierung zentrale Achsen sind, entlang derer Tiere in touristischen Settings systematisch entwertet werden.
Das Beispiel der Kickbox-Shows mit Orang-Utans macht diese Prozesse drastisch sichtbar. Für die Zukunft plädiert die Studie für eine grundlegende Neuausrichtung: Touristische Tierbegegnungen sollten auf Respekt, Rückzugsmöglichkeiten und freiwilliger Sichtbarkeit beruhen – nicht auf Dressur, Belustigung und Dauerpräsenz. Nur so kann eine ethische Beziehung zwischen Mensch und Tier entstehen, die auf Respekt und Anerkennung der tierischen Bedürfnisse beruht.