27. Mai 2025, 6:17 Uhr | Lesezeit: 12 Minuten
Die Tradition, Bären ihre Gallensäfte abzuzapfen und sie als Medizin zu verwenden, mag uns Europäern seltsam vorkommen. In vielen asiatischen Ländern war und ist die Praxis jedoch lange gang und gäbe – und ist sozial trotz vieler Verbote noch immer tief in den sozialen Strukturen verankert. Entsprechend schwierig ist es für Tierschützer, die Gallebären aus diesen Strukturen zu befreien und die Bevölkerung zu einem Umdenken zu bewegen.
Laut traditioneller chinesischer Medizin soll sie unter anderem gegen Augenleiden und Lebererkrankungen helfen: Bärengalle. Vor allem in Ostasien wird sie seit mehr als tausend Jahren gegen zahlreiche, innere Beschwerden als Heilmittel genutzt. Der Stoff, der ihr diese Wirkung verleihen soll, ist die in der Galle enthaltene Ursodesoxycholsäure. Im Labor hergestellt, findet sie auch in der modernen Medizin Anwendung. Doch obwohl die Säure inzwischen synthetisch produziert werden kann, wird sie in Asien immer noch von lebenden Tieren abgezapft, die dafür unter schrecklichen Bedingungen auf Farmen gehalten werden. Tierschutzorganisationen kämpfen seit Jahren gegen diese Industrie der Gallebären. Inzwischen zeigen sich erste Erfolge. Doch wie eine Studie nun beleuchtet, ist die Tradition auch in Vietnam noch tief verankert – wo die Haltung von Gallebären seit Jahren verboten ist.
Was ist Bärengalle?
Bärengalle ist genau das, wonach es klingt. Es handelt sich dabei tatsächlich um den Gallensaft von bestimmten Arten der Echten Bären. Meist werden dafür Malaienbären oder Asiatische Schwarzbären, auch als Kragen- oder Mondbären bekannt, genutzt, um ihnen „den Saft abzuzapfen“. Seinen Namen verdankt der Bär einer verwaschenen v-förmigen, weißen Zeichnung am Hals des ansonsten schwarzen Fells, die an einen Sichelmond erinnern soll. 1
Sein Lebensraum ist bedroht, Menschen rücken ihm zudem wegen seiner Galle auf den Pelz. Der Stoff, der die Galle so begehrt macht, ist im Organ von Kragenbären in besonders hoher Konzentration enthalten: Ursodesoxycholsäure (UDCS). Seit den 1950er-Jahren kann der Wirkstoff jedoch problemlos und vor allem in besserer Qualität synthetisch im Labor hergestellt werden. So wird sie auch in der modernen Medizin angewandt, die das „Ärzteblatt“ schreibt, und ist in Produkten enthalten, die auch in Deutschland und anderen europäischen Ländern erhältlich sind.
Unter anderem dient die Säure zur Lösung von Gallensteinen und wird gegen andere Krankheiten von Leber und Gallenblase eingesetzt. Vegan sind Präparate mit dem Wirkstoff UDCS übrigens mitunter auch dann nicht, wenn sie aus einem Labor stammen: Zur Herstellung kann ein Bestandteil aus der Galle von Schlachttieren genutzt werden.
Inzwischen auch in Shampoos
In der traditionellen Medizin Asiens ist Bärengalle seit Jahrtausenden bekannt. „Die erste Erwähnung findet sich in einem medizinischen Text aus dem achten Jahrhundert, in dem Bärengalle bei Krankheiten wie Epilepsie, Hämorrhoiden und Herzschmerzen verschrieben wird“, heißt es etwa auf der Website der Tierschutzorganisation Vier Pfoten.
Zwar weisen wissenschaftliche Studien darauf hin, dass die in Bärengalle enthaltene Ursodesoxycholsäure gegen bestimmte Leber- und Gallenerkrankungen hilft. Das aber gilt für die synthetisch im Labor hergestellte Substanz, wie sie unter anderem hierzulande in Medikamenten eingesetzt wird.
Der Nutzen gegen andere Erkrankungen ist nicht erwiesen und inzwischen auch in Asien umstritten. 2017 erklärte der Vorsitzende der vietnamesischen Gesellschaft für Traditionelle Medizin, Nguyen Xuan Huong, natürliche Bärengalle sei wegen giftiger Bestandteile sogar lebensgefährlich. „Ich habe bereits drei Patienten an Bärengalle sterben sehen, auch einen meiner Freunde“, so Nguyen Xuan Huong gegenüber der Nachrichtenagentur dpa, erschienen in der „ÄrzteZeitung“.
Dennoch kommen vor allem über Online-Vertriebswege offenbar auch immer wieder illegal Mittel nach Deutschland, in denen echte Bärengalle steckt. Demnach stellte der Zoll zwischen 2018 und 2021 achtmal Zäpfchen, Pulver, Salben und Ähnliches sicher. Da Bärengalle inzwischen massenweise gewonnen wird, steckt der Wirkstoff inzwischen auch in Kosmetikprodukten wie Shampoos und Cremes.
In Vietnam verboten – laut Studie jedoch immer noch sozialer Faktor
Eine Studie aus dem Mai 2025 hat sich angeschaut, wie tief verwurzelt die kulturelle Seite des Bärengallekonsums in Vietnam noch immer ist. Dabei geht es nicht nur um medizinischen Nutzen, sondern auch um soziales Kapital, Statussymbole und Beziehungspflege. Dazu führten die Forscher Interviews durch und nutzten anschließend das „Schneeballsystem“, um innerhalb der sozialen Strukturen weitere Parameter zu identifizieren. Somit konnten sie immer größere soziale Kreise durchleuchten und die Motivation hinter dem Konsum von Produkten von Gallebären besser verstehen.
Auf diese Weise entstand ein dichtes Netz aus Verwandten, Freunden, Nachbarn und Arbeitskollegen. Fast alle Interviewten hatten Bärengalle entweder selbst verwendet oder erhalten. Besonders häufig wurde sie innerhalb enger sozialer Kreise verschenkt – also an Familie und enge Freunde. Die Hauptanlässe für Geschenke waren Verletzungen, spontane Besuche, Dankbarkeit, gemeinsames Trinken oder strategische Absichten. In der Stadt war das Schenken rückläufig, auf dem Land blieb es stärker verbreitet. Nur 10 Prozent gaben innerhalb des letzten Jahres Bärengalle weiter, 22,5 Prozent hatten sie erhalten.
Die Studie zeigte, dass die Weitergabe und Konsum von Bärengalle stark sozial geprägt ist. Die Weitergabe erzeugte oft sogar Druck: Wer ein Geschenk erhielt, fühlte sich zur Annahme und gelegentlich auch zum Konsum verpflichtet – selbst ohne Glauben an die Wirkung. Besonders Männer gaben an, aus Gruppenzwang Bärengalle in Alkohol zu trinken. Auffällig war die Rolle älterer Familienmitglieder: Sie gaben Wissen, Galle und Erwartungen an jüngere Generationen weiter.
China ist trauriger Spitzenreiter bei der Haltung von Gallebären
Seit die Bärengalle spätestens in den 1990er-Jahren einen regelrechten Boom erfuhr, sind in Asien zahlreiche Bärenfarmen entstanden. In denen werden die Tiere bis heute für massenhafte Gallegewinnung gehalten. „Spitzenreiter“ bei der Haltung von Gallenbären dürfte inzwischen China sein. Offizielle Zahlen zu den dort gehaltenen Bären sind schwer zu finden. Die Tierrechtsorganisation Peta nennt auf PETBOOK-Nachfrage Zahlen aus dem Jahr 2020, wonach von rund 20.000 Tieren ausgegangen wird.
Andere Organisationen wie Animals Asia Foundation und World Animal Protection berichten von 10.000 bis 24.000 Bären. Während es in Vietnam inzwischen verboten ist, Bären für die Gallegewinnung zu halten und ihnen Gallensaft abzuzapfen, habe sich China laut Peta inzwischen zu einem Schwerpunkt der Galleproduktion entwickelt. Dort werde für Bärenfarmen geradezu geworben. „Greenwashing“ nennt Peta daher einen offiziellen Bericht aus dem Dezember 2023. Darin gebe die größte chinesische „Bärengalle-Firma“ an, dass sie „in- und ausländische TCM-Experten“ eingeladen habe, um sich von ihrer Produktionsanlage zu überzeugen.
»Bären in Not zu sehen und zu hören, wenn Galle entnommen wird
Dass es den Bären dort gut geht, darf allerdings bezweifelt werden, denn das Abzapfen der Bärengalle ist eine grausame Prozedur. 2017 etwa beschrieb die „Ärzte-Zeitung“, wie Bärengalle gewonnen wird: „Das Verfahren, Bären für ihre Galle zu züchten, wurde in den 1980er-Jahren in Nordkorea entwickelt. Per Ultraschall sucht der Züchter bei einem betäubten Bären die Gallenblase, sticht sie an und entnimmt die Flüssigkeit mit einer Spritze.“
Wer sich Berichte von Bärenfarmen in anderen Ländern ansieht, merkt: Das ist offenbar noch die angenehmere Variante. Die Tierschützer der Organisation Vier Pfoten, die inzwischen zahlreiche Bären aus Gallenfarmen gerettet haben, berichten etwa: „Es gibt verschiedene Methoden, mit denen die Bärenfarmer versuchen, die Galle aus der Gallenblase zu entfernen – alle werden ohne angemessene Schmerzlinderung durchgeführt und verursachen bei den Bären immensen Stress und Qualen.“
Zwar würden die Bären dafür betäubt, „doch oft wird dies nicht korrekt durchgeführt und ist daher unwirksam. Dies wurde in Videoaufnahmen dokumentiert, auf denen Bären in Not zu sehen und zu hören sind, wenn die Galle entnommen wird“.
Barbarischer Eingriff, starke Schmerzen
Ähnliches berichtet PETBOOK auch Peter Höffken, Fachleiter des Kampagnenteams von Peta Deutschland: „Üblicherweise wird ein Bär in solchen Anlagen 30 Jahre lang in einem kleinen Käfig gefangen gehalten, um immer wieder seine Galle zu extrahieren.“
In den engen Käfigen können sich die Tiere weder drehen noch hinlegen, geschweige denn bewegen. Oft werde ein Bär schon als Junges in den Käfig gesteckt und müsse dort sein ganzes Leben verbringen. In der Regel werde dem Tier ein Metallkatheter in die Gallenblase eingeführt. Daraus werde die Bärengalle zweimal täglich mit einer Spritze entnommen.
„Wegen der Schmerzen, die dieser barbarische Eingriff mit sich bringt, werden die Oberkörper der Bären oft mit einer Metallhülle versehen, damit sie den in ihrer Gallenblase verklemmten Schlauch nicht herausreißen können“, so Höffken. Bei einer anderen Methode, dem freien Tropfen, werde ein Loch in den Bauch des Bären geschnitten. „Die Bärengalle fließt aus dem Loch und wird am Boden des Käfigs gesammelt.“
In einigen, oft illegalen Bärenfarmen würden die Tiere sogar in eine Art Eisenjacke mit einer Spritze gezwungen. Diese sei mit der Gallenblase verbunden und an einer zehn Kilogramm schweren Metallbox befestigt, um die Bärengalle aufzufangen.
Bären leiden selbst unter Gallenkrankheiten
Das Abzapfen der Bärengalle verursacht beim Bären jedoch nicht nur Schmerzen durch die Entnahme. Weil sie regelmäßig ihrer Gallenflüssigkeit beraubt werden, leiden die meisten der Tiere selbst an chronischen Leber- und Gallenblasenerkrankungen. In der Folge entwickeln sie häufig Leberkrebs.
„Die Haltung und Tortur der Gallesaftentnahmen stellen eine große Belastung für die physische und psychische Gesundheit der Bären dar, was schließlich zu ihrem Tod führt“, teilt Vier Pfoten mit. Zudem litten die Bären wegen schlechter Haltungsbedingungen unter Mangelernährung und Bewegungsarmut, was wiederum zu Muskelschwund und Fettleibigkeit führe.
„Hinzu kommt, dass die ständige Misshandlung, die wenig anregende Umgebung und der enge Raum zu Verhaltensstörungen führen. Aufgrund ihres unermesslichen Leids und ihrer Langeweile kauen die Bären oft auf ihren Käfigstäben herum, um zu entkommen, was zu abgebrochenen und beschädigten Zähnen führt.“
Haltung von Gallebären in Vietnam verboten
Aber auch in Laos und Myanmar werden noch immer Gallebären gehalten, wie Tierschutzorganisationen mitteilen. Einst wurden auch in Vietnam tausende Bären wegen ihrer Galle gequält. 2005 jedoch wurden Besitz, Verkauf und Abzapfen von Bärengalle in dem Land verboten. Allerdings durften Bauern ihre Bären behalten, sofern sie mit einem Mikrochip versehen und vor 2005 registriert worden waren, so die Tierschutzorganisation Vier Pfoten auf ihrer Website.
Der Kampf zahlreicher Organisationen und der vietnamesischen Regierung für die Beendigung der Gallegewinnung zeige inzwischen allerdings Erfolge: „Die gemeinsamen Bemühungen haben dazu geführt, dass die Zahl der Bären auf solchen Farmen in Vietnam um 94 Prozent gesunken ist, von 4300 Bären im Jahr 2005 auf 228 Bären Ende Mai 2023“, heißt es seitens der Organisation.
PETBOOK fragte auch nach dem aktuellsten Stand, der weiter gesunken ist: Im gesamten Land gab es laut Magda Scherck-Trettin, Projektmanagerin Wild Animals Rescue & Advocacy von Vier Pfoten Ende April 2025 noch 167 Bären auf 57 Farmen in Vietnam.
Vor allem im ländlichen Raum bleibt konsum präsent
Vor allem in der Region um die Hauptstadt Hanoi finden sich noch einige – der Trend ist aber ebenfalls rückläufig! Ende April 2023 lebten dort laut Vier Pfoten 115 Bären auf 22 Farmen, Ende April 2025 noch 80 Bären auf 17 Farmen.
Laut der aktuellen Studie, die unter Vietnamesen durchgeführt wurde, zeigte sich: Bärengalle fungiert noch immer als Träger sozialer Bindung, als Zeichen von Fürsorge, Respekt und Loyalität. Besonders im ländlichen Raum, wo noch mehr Farmen aktiv sind und der Zugang einfacher ist, bleibt der Konsum präsent.
Für den Artenschutz und die Rettung von Gallebären bedeutet das: Gesetzesverschärfungen allein reichen nicht aus. Um Verhalten zu verändern, müssen die sozialen Dynamiken verstanden und gezielt beeinflusst werden. „Natürlich sind wissenschaftliche Studien wichtig für unsere Arbeit für die Tiere. Wir benötigen für unsere Kampagnenarbeit zur Beendigung der Haltung von Bären auf Farmen und Produktion von Bärengalle Hintergrundinformationen u.a. zum Konsumentenverhalten (von Galleprodukten), damit wir Konsumenten gezielt ansprechen können“, sagt Scherck-Trettin auf PETBOOK-Anfrage.
Das gezielte Ansprechen einflussreicher Mitglieder – etwa älterer Familienmitglieder – könnte also Verhaltensänderungen in ganzen Netzwerken anstoßen. Besonders relevant sind dabei geschlechterspezifische Muster (z. B. Männer trinken gemeinsam) und geografische Unterschiede. 2

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Refugium für ehemalige Gallebären
Für gerettete Bären aus Vietnam hat die Tierschutzorganisation Vier Pfoten in dem Land inzwischen ein Refugium geschaffen. Im Bärenwald Ninh Binh dürfen ehemalige Gallebären ein Leben in Bewegung und ohne Qual führen. „Unsere Rettungsstation ist ein sicherer Zufluchtsort für ehemalige Bären, die für die Gallesaftgewinnung missbraucht wurden, die wir nicht wieder in die freie Wildbahn entlassen können, weil sie auf den Menschen angewiesen sind und ihnen die instinktiven Überlebensfähigkeiten fehlen“, teilt die Organisation mit.
Viele der Bären, die aus Gallefarmen stammen, benötigten für den Rest ihres Lebens intensive medizinische Betreuung, da ihre Organe durch die Galleentnahme stark geschädigt seien, heißt es weiter. Die Organisation berichtete im Februar 2024 über eine gerettete Kragenbärin namens Na, die nun im vietnamischen Bärenwald lebt. „Zwei Jahrzehnte lang litt Na in einem winzigen Käfig aus Metallstäben – sogar auf dem Boden“, so Vier Pfoten. „Ihre Vorderpfote fehlt – ein trauriges Zeichen dafür, dass sie höchstwahrscheinlich in der Wildnis gefangen und durch eine Jagdfalle verletzt wurde.“
Bärin Na hat sich im Bärenwald eingelebt, wie Scherck-Trettin PETBOOK mitteilt. „Sie lebt noch immer alleine, da sie noch mit keinem anderen Bären im Bärenwald Ninh Binh vergesellschaftet werden konnte. Ihr geht es aber gut damit! Sie ist, anderes als andere Bären, sehr wählerisch in puncto Nahrung. Sie isst gerne Wasserspinat (andere Bären nicht), dafür isst sie keine (bei Bären beliebten) rohen Karotten, Gurken oder Kürbis (außer die Bärenpfleger kochen und pürieren das Gemüse für sie).“