
4. Juni 2025, 17:37 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Welche Mimik zeigt ein Pferd beim Spielen – und wie sieht es aus, wenn es Streit sucht? Eine Studie deckt auf, wie feinfühlig und vielfältig Pferde ihre Gesichtsmuskulatur einsetzen, um mit Artgenossen zu kommunizieren. Dabei zeigen sie Mimikformen, die verblüffende Parallelen zu anderen Säugetieren aufweisen – darunter auch uns Menschen. Die Ergebnisse bieten neue Chancen für Forschung, Tierschutz und den alltäglichen Umgang mit Pferden.
Gesichtsausdrücke und eine damit verbundene Bedeutung war lange ein Thema, dass in der Wissenschaft nicht viel Aufmerksamkeit erhielt. Die Gestik- und Mimikforschung hat hierbei jedoch in den letzten Jahren rasant neue Erkenntnisse gefunden – auch für Hunde und Katzen. Eine Studie hat nun auch die Mimik einer weiteren domestizierten Tierart untersucht und erstmals vollständige Erkenntnisse über die Gesichter von Pferden geliefert.
Auch Pferde haben ein „Spielgesicht“
Gesichtsausdrücke – oder in dieser Studie neutraler als „Gesichtsverhalten“ bezeichnet – sind bei sozialen Tieren ein zentraler Bestandteil der nonverbalen Kommunikation. Besonders bei gruppenlebenden Arten wie Pferden kann die genaue Mimik Hinweise auf den inneren Zustand oder die Absichten des Tieres geben. Bislang war dies bei Pferden allerdings noch nicht gut erforscht. Lediglich zum „Schmerzgesicht“, mit dem Halter Leid bei ihren Tieren besser erkennen können, gab es einige Arbeiten.
Ein Forscherteam um Kate Lewis von der University of Portsmouth hat in einer Studie erstmals ein umfassendes, wissenschaftlich fundiertes Verhaltensinventar (Ethogramm) zur Mimik von Hauspferden erstellt. Die Untersuchung wurde am Sparsholt College Equine Centre im Vereinigten Königreich durchgeführt und basiert auf der Analyse von 805 dokumentierten Gesichtsausdrücken während sozialer Interaktionen. Veröffentlicht wurde die Arbeit am 28. Mai 2025 in der Fachzeitschrift „PeerJ“. Die Forscher verwendeten das etablierte Equine Facial Action Coding System (EquiFACS) und erweiterten es um eine neue, bisher unbekannte Gesichtseinheit.
Die Forscher sorgen mit ihrem vollständigen, kontextbasierten Überblick mehr Verständnis für die Vielfalt der Gesichtsausdrücke bei Pferden. Besondere Aufmerksamkeit legten sie dabei auf die Frage, wie Pferde ihre Gesichtsmuskeln je nach Situation nutzen, um spezifische Signale zu senden – etwa bei Spiel, Aufmerksamkeit, Aggression oder freundlichem Kontakt.
Studie beschreibt, wie Pferde vier Gemütszustände über Mimik ausdrücken
Untersucht wurden 36 Hauspferde (12 Stuten, 24 Wallache) im Alter von 5 bis 19 Jahren. Über einen Zeitraum von 24 Tagen im Herbst 2020 dokumentierte das Team insgesamt 72 Stunden an Pferdeverhalten auf der Weide. Mithilfe hochauflösender Videoaufnahmen wurden Momente sozialer Interaktion eingefangen und anschließend mit EquiFACS codiert – einem System, das mimische Muskelbewegungen in „Action Units“ (AUs) und „Action Descriptors“ (ADs) einteilt.
Die Forscher konzentrierten sich auf vier soziale Kontexte: freundliche Interaktionen, Spiel, aggressives Verhalten und Aufmerksamkeitsreaktionen. Für jede beobachtete Gesichtsbewegung wurde exakt bestimmt, welche Muskelaktionen beteiligt waren. Ergänzend wurde dann das Netzwerk-Analyse-Tool NetFACS verwendet, um charakteristische Muster zu identifizieren. Eine ethische Genehmigung lag vor.
Die Forscher identifizierten insgesamt 805 kombinierte Gesichtsverhaltensweisen aus 22 beobachteten sozialen Verhaltensformen. Die Mimik variierte je nach Kontext deutlich:
- Spiel: Charakteristisch war eine Kombination aus offenem Maul (Munddehnung), gesenkter Unterlippe, angehobenem Kinn und sichtbarem Augenweiß. Besonders häufig war auch das Vorschieben der Nase.
- Aggression: Typisch waren nach hinten und unten gedrehte Ohren, geweitete Nüstern, gesenkter Kopf und ein neues Merkmal, die angespannte Wangenmuskulatur.
- Aufmerksamkeit: Hier standen nach vorn gerichtete Ohren und zusammengezogene Ohren im Vordergrund, begleitet von erhöhter Blinzelrate und Kopfhebung.
- Freundliche Interaktion: Weniger spezifische Muster, aber häufig das Vorschieben der Nase sowie leicht geöffnetes Maul und gelegentliche Blinzler.
Besonders bemerkenswert war die Entdeckung und Definition einer neuen Gesichtseinheit: der angespannten Wangenmuskulatur, die in dieser Form bei Pferden noch nie dokumentiert wurde. Dies beschreibt eine Anspannung des Platysma-Muskels, die zu einem sichtbar gestrafften Gesichtsbereich zwischen Wange und Maul führt.

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Entschlüsselte Pferde-Mimik ein Durchbruch der Verhaltensbiologie
Diese Pionierstudie liefert erstmals ein vollständiges, verhaltensbasiertes Mimik-Inventar des Hauspferdes – ein Durchbruch für die vergleichende Verhaltensbiologie. Die Ergebnisse zeigen, dass Pferde über eine sehr differenzierte Mimik verfügen, die flexibel und kontextspezifisch eingesetzt wird. Auch wie sehr ihre Ausdrucksweise mit anderen Säugetieren verwandt ist, konnte dokumentiert werden.
Besonders die Ähnlichkeiten zwischen dem sogenannten „Spielgesicht“ von Pferden und ähnlichen Ausdrücken bei Primaten und Carnivoren (z. B. Hunden, Wölfen) deuten darauf hin, dass dieses Verhaltensmuster tief in der Säugetierentwicklung verwurzelt ist. Die Einführung des „angespannten Wangen“-Merkmals in das EquiFACS erweitert zudem die Möglichkeiten, Pferdeemotionen noch präziser zu erfassen – auch in Bezug auf Schmerz oder Stress. Langfristig könnte dies den Einsatz von Mimik-Analysen in Tiermedizin, Verhaltensforschung und Tierschutz erheblich verbessern.
Zukünftige Untersuchungen müssen zeigen, ob diese vier Verhaltensweisen von allen Pferden jeden Alters angewendet werden, oder es sich um ein erlerntes Verhalten handelt. Auch, ob Pferde diese Mimik in der Interaktion mit Menschen verstärkt oder weniger zeigen, muss untersucht werden. Durch die Auswahl der domestizierten und häufig auch kastrierten Pferde waren aggressive Verhaltensweisen relativ selten zu beobachten. Spannend wäre in diesem Zusammenhang eine Untersuchung, ob intakte Hengste dies ebenso zeigen und ob wildlebende Pferde auf ähnliche Weise kommunizieren. 1