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„Dehnel-Phänomen“

Maulwürfe schrumpfen ihr Gehirn im Winter bis zu elf Prozent

Ein Maulwurf gräbt sich aus seinem Maulwurfshügel aus
Maulwürfe haben einen sehr aktiven Stoffwechsel, der ihnen im Winter zum Verhängnis werden kann. Daher sparen die Tiere Energie, indem sie ihr Hirn und ihren Schädel schrumpfen. Foto: Getty Images
Louisa Stoeffler
Redakteurin

22.09.2022, 13:00 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten

Winterstarre, Ruhe oder Schlaf – es gibt viele Arten, wie Tiere über die kalte Jahreszeit kommen. Maulwürfe nutzen eine ganz besondere Taktik: Sie schrumpfen einfach ihr Hirn. Das belegt eine neue internationale Studie. Damit verbrauchen die kurzsichtigen Säuger im Winter weniger Energie.

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Ein internationales Forscher-Team unter der Leitung von Dr. Lucie Nováková vom Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie und der Karls-Universität Prag hat sich mit einer Auffälligkeit bei Maulwürfen beschäftigt. Die Forscher fanden heraus, dass Europäische Maulwürfe in Vorbereitung auf den Winter ihr Gehirn und ihren Schädel um bis zu elf Prozent schrumpfen können.

Geschrumpfte Organe bei Säugetieren durch das „Dehnel-Phänomen“

Das sogenannte „Dehnel-Phänomen“ ist dafür verantwortlich, dass die Köpfe von kleinen Säugetieren schrumpfen können. Dies ist bereits für einige Arten belegt, unter anderem Spitzmäuse, Hermeline und Wiesel. Kleine Tiere mit einem sehr aktiven Stoffwechsel verlieren dadurch in Vorbereitung auf das limitierte Nahrungsangebot im Winter bis zu 20 Prozent der Körpermasse. Dies gilt auch für ihre Organe und Knochen.

Benannt nach dem polnischen Wissenschaftler August Dehnel, galt das gleichnamige Phänomen lange als reine Theorie. Bereits 1949 erstmals beobachtet, erlangte es jüngst jedoch größere Bekanntheit. Es besagt, dass die Köpfe von kleinen Säugetieren nicht nur schrumpfen können, sondern im Frühling und Sommer das verlorene Gewebe und die Knochenmasse auch wiederherstellen. Ein regenerativer Therapieansatz, der auch für Menschen nützlich sein könnte, erklärt das neuerwachte, rege Interesse der Forscher.

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Ziel der Studie

Nováková und Kollegen gingen in ihrer Arbeit der Frage nach, ob das „Dehnel-Phänomen“ dem entsprechend auch zum Schrumpfen der Gehirne von Maulwürfen führt. Insbesondere wollten die Wissenschaftler herausfinden, ob die Besonderheit unter saisonalen Bedingungen vorkommt oder ob die Verfügbarkeit von Futter es auch bedingen kann.

Im Gespräch mit der Max-Planck-Gesellschaft erklärte Dr. Dina Dechmann, eine der Autorinnen der Studie, dass die Wissenschaftler am Anfang nicht verstanden hätten, was die wirklichen Druckpunkte waren. Also die genauen Umweltauslöser, welche den Prozess des „Dehnel-Phänomens“ antrieben.

Zu diesem Zweck untersuchten sie den Europäischen und den Iberischen Maulwurf, der häufig in Spanien und Portugal vorkommt. Das Nahrungsangebot des Iberischen Maulwurfs ist in den trockenen, mediterranen Sommern am geringsten. Daher stellten die Forscher die Theorie auf, dass das „Dehnel-Phänomen“ beim Iberischen Maulwurf im Sommer stattfinden müsse.

Versuchsaufbau

Die Wissenschaftler untersuchten die unterschiedlichen Lebenszyklen des Europäischen Maulwurfs und des Iberischen Maulwurfs. Die Brutzeiten beider Arten unterscheiden sich grundlegend. Der Iberische Maulwurf ist im milderen Winter am aktivsten und pflanzt sich dann fort. Beim Europäischen Maulwurf ist es umgekehrt und er zeigt die meiste Aktivität im Sommer.

Die Forscher nahmen mehrere Messungen an den Köpfen und der Backenzahnreihe der beiden Maulwurf-Spezies vor. Einerseits sollte so ihre Hypothese belegt, andererseits das Alter der Tiere bestimmt werden. Für ihre Arbeit griffen die Forscher auf Material des polnischen Säugetier-Forschungsinstituts aus Białowieża zurück, welches die Anomalie bereits bei anderen Tieren beschrieben hatte.

Die Schädel des Europäischen Maulwurfs wurden im tschechischen Institut für Wirbeltierbiologie der Akademie der Wissenschaften in Brno gelagert und dort vermessen. Diese Exemplare entstammen alle der Region Moravia in Tschechien. Die Vorgehensweise für den Iberischen Maulwurf war ähnlich. Die untersuchten Schädel stammten aus Beständen der Biologischen Station Doñana in Sevilla.

Zusätzlich zu den Messungen führten die Wissenschaftler CT-Scans durch, um die Knochendichte der verschiedenen Maulwurfsschädel bestimmen zu können.

Maulwurf-Köpfe schrumpfen im Winter und wachsen im Sommer

Die Studie zeigte reversible Veränderungen an den Schädelgrößen der Europäischen Maulwürfe. So ließ sich im November ihres ersten Lebensjahres ein um bis zu elf Prozent kleinerer Schädel als im Sommer feststellen. Die Wissenschaftler konnten außerdem nachweisen, dass die Tiere im Frühling beginnen, ihren Kopf wieder zu vergrößern. Des Weiteren konnte bewiesen werden, dass im Juli das Nachwachsen der Schädel mit vier Prozent am größten war. Demnach ist es also erwiesen, dass der Europäische Maulwurf dem „Dehnel-Phänomen“ unterliegt und seinen Schädel und sein Gehirn schrumpfen kann.

Der Iberische Maulwurf zeigte jedoch keine Anzeichen eines verkleinerten Schädels und hatte das ganze Jahr denselben Kopfumfang. Somit hat sich diese Theorie der Forscher nicht bestätigen lassen, dass reduziertes Nahrungsangebot allein für das Schrumpfen der Gehirne von Maulwürfen verantwortlich sei.

Sie gehen nunmehr davon aus, dass die Auffälligkeit ein saisonaler Faktor ist, der durch winterliches Klima bedingt ist. Wenig Futter könnte jedoch auch ein zusätzlicher Punkt sein.

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Ausblick und Einschränkungen der Studie

Alle Tiere, bei denen das „Dehnel-Phänomen“ bisher nachgewiesen werden konnte, teilen eine ganzjährige Aktivität ohne Winterschlaf. Zudem haben sie einen schnellen Stoffwechsel und eine herabgesetzte Möglichkeit, Fett einzulagern. Weitere Studien müssen zeigen, ob die Tendenz zum Schrumpfen durch unterschiedlich tiefe Temperaturen verschlimmert wird und wie die evolutionäre Entwicklung zustande kam.

Die Forscher haben außerdem einige Anhaltspunkte gefunden, aus denen hervorgehen könnte, dass der Schädel von Europäischen Maulwürfen auch in späteren Jahren ihres Lebens wieder schrumpft. Jedoch räumten sie ein, dass die Datenlage zu gering war, um zweifelsfreie Aussagen treffen zu können. Es gab nicht genügend Schädel von älteren Tieren in den Beständen.

Die Wissenschaftler wiesen auch darauf hin, dass sie keine Feldstudien durchgeführt hätten, weil diese sehr aufwendig gewesen wären. Zu diesem Zweck hätten sie die Tiere fangen und röntgen müssen. Eine andere Möglichkeit wäre, eine gesamte Jahrespopulation der Tiere zu untersuchen, um eine ausreichende Datenlage für weitere Forschungen zu erhalten. Dies hätte jedoch den Verlust der Population bedeutet.

Dechmann sieht auch mögliche Auswirkungen auf die Humanmedizin in ihrer Forschung. Sie sagte der Max-Planck-Gesellschaft, dass Säugetiere, die Knochen- und Hirngewebe wieder nachwachsen lassen können, enormes Potenzial für die Erforschung von Krankheiten wie Alzheimer und Osteoporose hätten. „Je mehr Säugetiere wir mit Dehnels entdecken, desto relevanter werden die biologischen Erkenntnisse für andere Säugetiere und vielleicht sogar für uns.“

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Quellen

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