VG Wort
Direkt zum Inhalt wechseln
logo Das Magazin für alle Tierbesitzer und -liebhaber
Kritische Trainingsmethode

Darum warnen Experten vor Dominanz in der Hundeerziehung 

Noch heute finden sich viele Hundebesitzer, die ihr Tier nach der fragwürdigen Dominanz-Theorie erziehen.
Noch heute finden sich viele Hundebesitzer, die ihr Tier nach der veralteten und wissenschaftlich überholten Dominanz-Theorie erziehen. Foto: Getty Images
Sonja Jordans

10.05.2023, 17:04 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten

„Der Hund muss wissen, wer das Alphatier ist“ – so lautet die Dominanztheorie, die in der Hundeerziehung leider noch immer Anhänger findet. Warum diese Theorie jedoch der falsche Weg ist.

Artikel teilen

Hunde, die mit Menschen zusammenleben sollen, müssen erzogen werden. Bestimmte Verhaltensweisen sind unerwünscht, andere dagegen gewollt. Doch wie bringt man dem Hund bei, was er machen soll, und wie gewöhnt man ihm ab, was er lassen soll? Die mittlerweile veraltete Dominanz-Theorie, die Hunde grundsätzlich als Alphatiere einordnet, versucht, mit fragwürdigen Methoden das Tier „unter Kontrolle“ zu bekommen. Doch die Erziehungsmethode, den Hund „dominieren“ zu müssen und seinen Willen geradezu zu brechen, ist keine Lösung – hat leider aber noch immer Anhänger. Warum sie der falsche Weg ist, erläutert PETBOOK mit der Unterstützung von Experten. 

Warum Dominanz und der Begriff „Alphatiere“ in der Hundeerziehung Quatsch sind 

Der Mensch müsse sich gegen den Hund durchsetzen, damit dieser erst gar nicht versuche, seine Halter zu dominieren, was er aber auf jeden Fall wolle – noch immer wird diese Theorie über Hundeerziehung auch in Hundeschulen gelehrt. Die Dominanz des Hundes lasse sich nur durch unnachgiebige Härte verhindern, so die Anhänger der Methode. Deswegen müsse der Mensch grundsätzlich vor dem Tier durch die Tür gehen. Das Tier müsse massiv gemaßregelt werden, wenn es an der Leine zieht. Auch dann, wenn er im Spiel nicht sofort den Ball herausgibt, falls der Mensch danach greift und das Spiel beendet. Gleiches gelte auch, wenn der Vierbeiner nicht so lange auf schneebedecktem Boden sitzen bleibt, bis der Mensch erlaubt, das Hinterteil anzuheben.

Auch müsse der Hund sofort aufstehen und dem Menschen Platz machen, wenn er ihm im Weg liegt. Kurzum: Der Mensch müsse seinen höchsten Rang im Rudel, in diesem Fall der Familie mit Hund, immer wieder behaupten und verdeutlichen. Dazu müsse der Wille des Hundes gebrochen und das Tier geradezu „kleingekriegt“ werden, wie es etwa die österreichische „Hundezeitung“ kritisiert. Die Folge: Nicht selten lässt sich beobachten, dass Hundehalter ihr Tier auf den Rücken werfen, weil es „nicht gehorcht“ habe. Es wird anbrüllt oder gar das Knie auf den Hund gedrückten, um ihn am Boden zu halten.  

Auch interessant: Diese Rassen eignen sich für den Hundesport

Woher kommt die Dominanz-Theorie? 

Die Erziehungsmethode sei vor rund 20 bis 40 Jahren durchaus gängig gewesen, so Michael Busch, Gründer der Hundeschule „mitHunden“ aus Aachen. An sich ist die Methode noch viel älter – und inzwischen wissenschaftlich überholt. Dennoch werden unter diesem Begriff Hunde bis heute „unterdrückt und gequält“, wie Lenka Schlager, Hundetrainerin aus Österreich, auf ihrer Homepage berichtet. Damals habe man noch geglaubt, da der Hund vom Wolf abstamme, müsse mit ihm auch im häuslichen Umfeld so umgegangen werden, wie es in einem Rudel üblich sei, erklärt Michael Busch.

Nur dann begreife das Tier, wer der „Chef“ ist und dass er im Menschenrudel die letzte Stelle einzunehmen habe. Denn eigentlich, so die Verfechter der Theorie, sei ein Hund von Natur aus bestrebt, das „Alphatier“ im Rudel zu sein. Deswegen wolle es auch den Menschen dominieren. Daher seien Hunde oft im Nacken gepackt und geschüttelt worden. Oder eben auf den Rücken gedreht und den Boden gedrückt worden. Dass das auch in einem familiär geprägten Wolfsrudel nicht an der Tagesordnung ist, habe man damals noch nicht beachtet.

Das „Spiel mit der Angst“, und nichts anderes empfinde der Hund, wenn er plötzlich auf den Rücken geworfen und fixiert würde, bis er stillhält. Dies sei eben nicht natürlich im wölfischen Familiengefüge und somit auch nicht bei der Erziehung zu Hause. „Und selbst wenn es im Wolfsrudel so ablaufen würde, haben unsere gezüchteten Haustiere damit nichts mehr zu tun, weshalb der Vergleich, das Tier zu Hause ebenfalls unterwerfen zu müssen, ohnehin hinkt“, so Busch.

Auch Lenka Schlager gibt zu bedenken, dass wegen Zucht und Veränderung unserer Hunde fraglich sei, ob sich Erkenntnisse aus der Wolfsforschung auf die Hundeerziehung übertragen lassen. „Wir Menschen stammen ja auch vom Affen ab, lehnen wir uns deswegen immer an die Primaten-Forschung an? Wohl kaum“, schreibt die Hundetrainerin in einem Blog-Eintrag. Inzwischen habe sich die Verhaltensforschung weiterentwickelt und damit auch das Wissen, welche Erziehungsmethoden zu einem harmonischen Miteinander führen. 

Gibt es überhaupt Alphatiere und Dominanz des Hundes gegenüber Menschen?  

Wenn ein Hund seinen Haltern „auf der Nase herumtanzt“, pöbelt, bellt und Menschen anspringt, wird das oft damit erklärt, dass er eben sehr „dominant“ sei. „Dabei ist er bloß unerzogen und mitnichten ein Alphatier“, sagt Michael Busch von der Aachener Hundeschule „mitHunden“. Das Problem liegt dann, wie so oft, beim Menschen und nicht beim Tier, das angeblich Rudelchef werden wolle und sich deshalb danebenbenimmt. „Der Hund sieht seine Familie ohnehin nicht so als Rudel, wie es immer wieder behauptet wird“, so Busch. Er wisse sehr genau, dass es Unterschiede gebe. Der Mensch hat es vielmehr versäumt, das Tier rechtzeitig zu erziehen und ihm beizubringen, dass bestimmtes Verhalten nicht akzeptiert wird.

Zieht ein Hund etwa an der Leine, dann nicht, weil er seine Halter dominieren möchte, sondern weil diese es erlauben. Und wenn der Hund erst verstanden hat, dass es sich lohnt, wenn er nur kräftig genug zieht und zerrt, weil er dann doch neben dem Weg durchs Gestrüpp stromern darf, wird er dieses Verhalten immer wieder zeigen. Schließlich führt es zum Erfolg. Hunde testen aus, wie weit sie gehen können und welches Verhalten sich für sie lohnt. 

Auch interessant: Welche natürlichen Mittel helfen Hunden bei Parasiten?

Bringt es etwas, den Hund nach der Dominanz-Methode zu erziehen? 

 Nein. Über diese Erziehungsmethode kann Michael Busch nur den Kopf schütteln. „Damit, den Hund anzubrüllen oder auf den Rücken zu drehen und ihm vielleicht sogar Schmerzen zuzufügen, erreiche ich kein Miteinander, keine Erziehung, sondern nur, dass der Hund Angst vor mir hat und aus Furcht reagiert. Nicht, weil er auf mich hört.“ Dadurch verliert der Hund das Vertrauen in den Menschen und auch in sich selbst. Schlimmstenfalls kann das Tier wegen solcher Attacken überhaupt erst unerwünschtes Verhalten entwickeln und etwa zu einem Angstbeißer werden, so Busch.

Das führe bei Verfechtern der Dominanz-Erziehung dann zu noch härterem Verhalten. Ein Teufelskreis entwickelt sich, an dessen Ende der Hund nicht selten im Tierheim landet. Dennoch müsse ein Hund klare Grenzen gesetzt bekommen. Etwa, wenn er auf Zuruf nicht hören möchte, an der Leine zieht oder außer Rand und Band gerät, wenn er auf Artgenossen trifft.  

Wie erreicht man ohne Dominanzerziehung, dass der Hund hört? 

Mit Geduld und Konsequenz. „Mithilfe einer Schleppleine etwa hole ich den Hund zu mir heran, wenn er herumtrödelt“, sagt Michael Busch von der Hundeschule „mitHunden“. Auch Korrekturen wie etwa stehenblieben und ein sanfter Zug an der Leine statt heftigem Ruck oder ein Richtungswechsel seien bewährte Mittel. Wichtig ist dabei unter anderem das richtige „Timing“. Also den Hund sofort zu stoppen, wenn er etwas macht, was er nicht soll, oder sofort ein Signal zu geben, wenn er zieht. Und nicht erst, wenn die Situation vorüber ist und das Tier den Erziehungsversuch schon zeitlich nicht mehr mit seinem Verhalten verknüpft.

Auch ein Lob, etwa in Form einer Streicheleinheit, ist hilfreich, wenn das Tier wie gewünscht reagiert hat. Außerdem gelte es, „dranzubleiben“, sagt Michael Busch. Wer heute erzieht und morgen alles durchgehen lässt, verwirrt nicht nur seinen Hund mit dieser Inkonsequenz. Damit erreicht man lediglich, dass das Tier meist nur dann mitmacht, wenn es Lust dazu hat. Ebenso sollte sich der Mensch souverän verhalten. Hektik, Geschrei und planloses Agieren zeigen dem Hund nicht, dass er sich auf seinen Menschen verlassen kann. Stattdessen geben sie ihm das Gefühl, die Situation selbst klären zu müssen – auf seine Weise.  

Fazit

Ein Hund, der nicht macht, was seine Halter wollen, ist nicht dominant und ein Alphatier, sondern schlecht erzogen. Das ist aber nicht die Schuld des Tiers. Wer möchte, dass sein Hund hört, braucht Geduld und souveräne Konsequenz, keine körperlichen Angriffe auf das Tier, Gebrüll oder Härte. Die leider von manchen Hundetrainern immer noch vermittelte Dominanztheorie ist nicht nur veraltet und wissenschaftlich längst widerlegt, sondern auch gefährlich für das Verhältnis zwischen Mensch und Hund. Das Tier hat Angst, im Zweifelsfall sogar Schmerzen und verliert das Vertrauen in den Menschen. Schlimmstenfalls kann es dazu führen, dass der Hund sich irgendwann gegen die Behandlung wehrt – und beißt.  

Mehr zum Thema

Quellen

Deine Datensicherheit bei der Nutzung der Teilen-Funktion
Um diesen Artikel oder andere Inhalte über Soziale-Netzwerke zu teilen, brauchen wir deine Zustimmung für
Sie haben erfolgreich Ihre Einwilligung in die Nutzung dieser Webseite mit Tracking und Cookies widerrufen. Sie können sich jetzt erneut zwischen dem Pur-Abo und der Nutzung mit personalisierter Werbung, Cookies und Tracking entscheiden.