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Agressionsverhalten

Darf der Hund mich anknurren? Das rät „Deutschlands beste Hundetrainerin“

Hund zeigt zähne (lächelt)
Zwischen Mensch und Hund kommt es immer wieder zu Missverständnissen – nicht nur beim Knurren. Hätten Sie etwa gewusst, dass der Hund auf dem Bild tatsächlich lächelt und keine Aggression zeigt? Foto: GettyImages/brazzo

26. Mai 2024, 8:42 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten

Viele erschrecken, wenn ihr Hund sie plötzlich anknurrt oder schimpfen sogar. Dabei gehört das Knurren zur normalen Kommunikation unserer Vierbeiner. Katharina Marioth, die 2023 zu „Deutschlands besten Hundetrainerin“ gewählt wurde, erklärt, was Hunde damit sagen wollen, wenn sie knurren.

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Viele Menschen erschrecken, wenn ihr Hund plötzlich knurrt. Die Frage „Ist das normal?“ steht augenblicklich im Raum. Vielleicht ist Ihnen das auch schon passiert und schon fast reflexartig schimpft man den Hund aus oder schickt ihn weg. Doch was hat Ihr Vierbeiner da eigentlich gezeigt aus seiner Sicht, wenn er Menschen oder Artgenossen anknurrt?

Hunde reagieren in Situationen mit verschiedenen Strategien

Schauen wir uns die verschiedenen Strategien, mit denen ein Hund auf eine Situation reagieren kann, einmal an. Man spricht in der Verhaltensbiologie von den sogenannten „vier Fs“. Jedes „F“ steht für eine Strategie – die Reihenfolge ist variabel und steht keinesfalls als „Plan“ fest:

  1. Flirt oder auch Fiddle About: Hierzu gehören zum Beispiel eine Spielaufforderung, die Oberkörper Tiefstellung (kennen wir als „Down Dog“ aus dem Yoga auch). Dies dient der Entstressung der Situation
  2. Freeze/Einfrieren: Der Hund wird insgesamt ganz steif, dies kann mit Blickvermeidung oder mit direktem Blickkontakt, dem Drohfixieren einhergehen. Es ist eine Strategie, um Momente abzuwarten und daraus die nächste Aktion bzw. Strategie zu wählen.
  3. Flight/Flucht: Diese muss nicht schnell vonstattengehen. Der Hund kann sich auch ganz langsam und zögerlich aus einer Situation entziehen. Diese Strategie dient zur Abstandsgewinnung und -vergrößerung.
  4. Fight: Nutzen wir hier das Wort „Kampf“, dann hat wohl jeder gleich blutrünstige Szenen vor Augen – mitnichten. Denn Aggressionsverhalten generell betrachtet hat seine eigene „Ampel“. Schauen wir uns diese also einmal genauer an:

Das Aggressionsverhalten als Ampel-Prinzip

In der Literatur finden Sie diese Ampel häufig als Eskalationsleiter beschrieben. Ich finde die Vorstellung einer Verkehrsampel aber etwas einprägsamer.

Grün: Der Hund ist entspannt und ansprechbar

In dieser Phase ist unser Hund noch in der Lage nachzudenken und in alle Richtungen zu handeln. Dabei zeigt er typischerweise diese Verhaltensweisen:

  • Die Körperhaltung ist neutral und entspannt.
  • Es wird gezüngelt, Lefzen geleckt, Blicke abgewendet, aus Stress gegähnt, vermehrt geblinzelt.
  • Die Ohren zeigen ein lebendiges Spiel in alle Richtungen.

Gelb: In dieser Phase kommt es vor, dass der Hund knurrt

In der gelben Phase ist der Hund immer noch in der Lage nachzudenken, setzt nun aber mehrere Strategien ein und zeigt mehr Verhalten, um die Situation zu lösen. Generell erhöht sich seine Aktivität.

Er wird versuchen, sich der Situation zu entziehen oder sich hinlegen (meist seitlich oder auch auf den Rücken). Vielleicht zeigt er aktive Demut durch Lefzen lecken des Gegenübers. Führte dieses „hellgelbe“ Verhalten nicht zur Deeskalation der Situation, wird „sonnenblumengelb“ eingesetzt. Hier zeigt der Hund evtl. erstes Drohverhalten, wie fixieren mit dem Blick, Lefzen kräuseln oder die sogenannte Piloerektion – das Aufstellen des Felles.

Die nächste Stufe kann man sich wie ein warnendes Blinken der gelben Ampel vorstelle. Die Aktivität des Hundes steigt noch mal in Richtung des Stressors. Und hier kommt jetzt das Knurren ins Spiel. Der Hund droht, zeigt Zähne, seine Körperhaltung kann sich versteifen, eventuell verbellt er.

Wichtig: In dieser blinkenden Gelbphase besteht nach wie vor die Chance zur Deeskalation. Knurrt der Hund, ist das also erstmal als Warnung zu verstehen.

Rot: Risiko für Bisse steigt

Hat dem Hund auch die blinkende, gelbe Phase nichts gebracht, um den Abstand zum Stressor zu vergrößern oder die Situation zu befrieden, kommt jetzt – wie im Straßenverkehr – die rote Phase.

Hier neigt der Hund dann zu impulsivem Handeln und die Chance, dass er noch nachdenken kann und etwa auf Wortsignale reagiert, schwindet massiv. Es wird zum Abschnappen kommen ohne Fellkontakt und kann sich steigern bis hin zum mehrfachen Bissen. Im Fachjargon sprechen wir noch von der Zwischenstufe des gehemmten und ungehemmten Bisses.

Knurrt der Hund, ist dies ein ganz normales Verhalten

Kommen wir also zum Knurren zurück: Aus der Sicht der kommunikativen Fähigkeiten Ihres Hundes, zeigt er ein ganz normales Verhalten und signalisiert: „Ich möchte das nicht“.

Früher hieß es oft, der Hund sei dominant und man müsse das Verhalten unbedingt unterbinden. Heute gilt diese Dominanztheorie als antiquierte Sichtweise. Knurrt Ihr Hund, ist das kein Versuch, die Weltherrschaft an sich zu reißen, sondern eine bedürfnisorientierte Kommunikation.

Durch Knurren kann Ihr Hund Ihnen oder einem anderen Hund zeigen: „Das tut mir weh, lass das“ oder „Dieser Liegeplatz ist mir wichtig“, „Das ist mein Futter oder Knochen oder Spielzeug“ und „Komm nicht näher“.

Zur Erinnerung: Wir befinden uns hier noch in der gelben Phase, das heißt, der Sprung in die Impulsivität ist noch nicht geschehen. Wer richtig reagiert, geht also keine Gefahr ein, gebissen zu werden.

Sollte ich bestrafen, wenn der Hund knurrt?

Ich rate Ihnen zunächst dazu: Akzeptieren Sie das Knurren für den Moment. Je nach Größe des Hundes möchten Sie vermutlich auf gar keinen Fall, dass Ihr Vierbeiner die rote Phase betritt. Aus der Sicht Ihres Hundes ist dies eine deutlich gelbe Ampelphase.

Sie können das Risiko eingehen und bildlich gesprochen aufs Gas treten. Das kann gut gehen oder Sie im Anschluss den Führerschein kosten – oder noch schlimmer: einen Unfall verursachen.

Wie verhalte ich mich, wenn der Hund knurrt?

Im Anschluss an die Situation machen Sie bitte Folgendes ganz in Ruhe: Überlegen Sie, was war das für eine Situation? Ging es um den Liegeplatz auf dem Sofa, den Sie auch gerne hätten oder das Annähern an einen Kauartikel, Spielzeug oder den Fressnapf? Ging es um ungestörte Ruhe halten oder die Annäherung eines Artgenossen? Und hat Ihr Hund vorher bereits einiges an Verhalten im grünen oder hellgelben Bereich gezeigt?

Dieser Ausgangspunkt sollte dann Ihr Startpunkt für Ihr Training sein. Suchen Sie sich bitte unbedingt einen Profi für diese Art von Training. Hier wird Erfahrung auch seitens der Trainer*innen benötigt.

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Was passiert, wenn ich meinen Hund fürs Knurren bestrafe?

Manche bestrafen ihren Hund beim Knurren, weil sie glauben, dass er dieses Verhalten dann lässt. Das mag in einigen Fällen zutreffen. Doch jetzt kommt das „ABER“: Es wird in der Mehrzahl der Fälle dazu führen, dass Ihr Hund bereits durch ein einmaliges Erleben der Strafe auf Knurren gelernt hat: Das bringt mich nur noch mehr in Bedrängnis – dann beiße ich eben gleich zu! Und das will nun wirklich niemand.

Achten Sie also bitte generell auf die Signale der „Ampel“ Ihres Hundes. Alle oben beschriebenen Verhaltensmöglichkeiten gehören zu normalen Verhalten Ihres Hundes und zu seinen Kommunikationsstrategien. Es liegt an uns, diese auch zu hören und zu verstehen und dann ggf. gezieltes Training einzuleiten, damit Ihr Hund künftig nicht mehr knurren muss.

Porträt Saskia Schneider auf dem PETBOOK Relaunch
Redaktionsleiterin

Meine Erfahrungen mit anknurren

Meine Hündin Yumi hat mich nur einmal ernsthaft angeknurrt. An diesem Tag hatte sie eine Granne im Ohr, die von einer Tierärztin sehr unsanft entfernt wurde, und starke Schmerzen. So ein Verhalten kante ich bis dahin nicht von ihr, habe es aber akzeptiert –obwohl sie eigentlich hätte Ohrentropfen bekommen müssen.
Was Yumi jedoch täglich zeigt, ist ein sogenanntes „Spielknurren“. Dann tut sie so, als würde sie Ball oder Stofftier mit ihrem Leben verteidigen. Dabei hat sie den Oberkörper abgesenkt (Spielpose) und alles wirkt sehr übertrieben, fast geschauspielert. Tatsächlich erkennt man auch akustisch einen Unterschied. So klingt das Spielknurren etwas melodischer und heller als das ernst gemeinte, warnende Knurren.

Themen Hundeverhalten
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